Hypnose
geht aber nicht! Er fühlt sich kalt und blutleer an, als würde er nicht mehr zu mir gehören! Was passiert da? Ich will meinen Arm wieder bewegen!«
»Ganz ruhig, Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie sind bei mir in guten Händen. Ich werde jetzt die Finger Ihrer rechten Hand berühren. Sie können den Druck und die Wärme meiner Hand spüren, und ich drücke jetzt vorsichtig Ihren rechten Arm ein wenig nach unten, und Sie folgen dieser Bewegung, bis ihr Arm wieder auf Ihrem Oberschenkel liegt. Lassen Sie einfach los. So ist es gut. Und nun atmen Sie tief ein und aus. Es ist alles in Ordnung. Sie sind nun gleich mit dem Fahrstuhl im Erdgeschoss angelangt. Drei. Hände anspannen! Zwei. Atmen Sie tief ein und aus! Eins. Öffnen Sie die Augen. So ist es gut. Sie sind zurück und fühlen sich frisch wie nach einem angenehm erholsamen Schlaf.«
Inka blinzelte, orientierte sich kurz im Turmzimmer und schaute Doktor Brinkhus an. Sie fühlte sich ausgeruht wie an einem Sonntagmorgen. Nur ihr rechter Arm kribbelte ein wenig, als hätte sie darauf gelegen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er. »Es ist sehr heiß heute, nicht wahr? Aber ein wunderschöner Tag.«
Inka nickte und überlegte. Sie versuchte sich zu erinnern, was sie gerade in der Hypnose gehört oder gesagt hatte, aber es wollte ihr nicht einfallen, und es erschien ihr auch nicht mehr wichtig. Viel schöner war das Gefühl der Entspannung und dieses inneren Friedens.
»Ja«, sagte sie. »Der richtige Moment, um in einer Eisdiele ein Eis zu genießen.«
✴
Leicht und wie von unsichtbaren Armen sanft getragen, die schweren Gedanken meilenweit entfernt, so fühlte sich Inka, als sie nach der empfohlenen Ruhepause im Erholungsraum auf ihrer Quickly den Pragsattel hinunterfuhr und ihr der warme Fahrtwind ins Gesicht blies. Die Hypnose schien tatsächlich kleine Wunder vollbringen zu können. Die Last der schrecklichen Ereignisse war zwar noch da, allerdings erschien sie Inka plötzlich etwas erträglicher. Ein unwirkliches Gefühl, von dem sie auch nicht wusste, wie lange es anhalten würde, aber ein weiterer Beweis dafür, dass sie auf diese Art von Therapie ansprach.
Es war die richtige Entscheidung gewesen, nach der Raucherentwöhnung nun auch die Einzeltherapie zu machen, davon würde sie auch Peter überzeugen. Allerdings wusste sie nach wie vor nicht, was Doktor Brinkhus während der Hypnose zu ihr gesagt hatte. Aber das war nicht so entscheidend. Wichtig war dieses untrügliche Gefühl der seelischen Entlastung.
Inka schlängelte sich stadteinwärts zwischen den langsam dahinfahrenden Autos hindurch. An einer roten Ampel auf Höhe der Kreuzung Türlenstraße musste sie anhalten. Die Glutwärme des Asphalts drang durch die dünne Sohle ihres Turnschuhs, als sie einen Fuß auf die Straße stellte. Die Hitze im Stuttgarter Kessel war an einem Tag wie heute einfach unerträglich. So sehr sie die Sonne auch liebte, so sehr sehnte sie sich jetzt nach einem schattigen Plätzchen wie Doktor Brinkhus’ Therapieraum, oder wenigstens nach einem kühlen Eis auf ihrer Zunge.
Ihr fiel ein, dass es hier in der Straße ein legendäres Eiscafé gab. Außerdem lag die Psychiatrische Klinik, in der Doktor Brunner Patient war, gleich daneben. Inka schaute auf die Uhr. Es war kurz vor drei. Unter den gegebenen Umständen würde Evelyn sich sicher freinehmen und ihren Vater besuchen. Die Uhrzeit passte, vielleicht würde sie Evelyn treffen. Inka beschloss, vor der Klinik auf sie zu warten, um mit ihr über Annabel zu reden. Als die Ampel auf Grün sprang, bog Inka ab und steuerte auf die Klinik zu.
Tatsächlich kam ihr Evelyn kurz darauf auf dem Fußgängerweg entgegen. Inka nahm den Helm ab. Evelyn legte den Kopf in den Nacken, als wolle sie die Nase hochziehen, holte aber nur tief Luft. »Was machst du denn hier?«, fragte sie und holte aus ihrer weißen Dreiviertelhose ein Taschentuch hervor. »Willst du auch jemanden im Krankenhaus besuchen?«
»Ich habe gestern mitgekriegt, dass du Annabel gebeten hast, heute um fünfzehn Uhr deine Besuchsschicht zu übernehmen. Es passte gerade, und ich dachte, vielleicht treffe ich dich.«
Evelyn schob die Brille hoch und presste sich das Taschentuch an die Augen. Sie schüttelte fortwährend den Kopf, sodass ihre blonde Pagenfrisur mitschwang.
»Inka, das ist so ein Albtraum. Meine Schwester – eine Mörderin! Doch nicht meine kleine Annabel …«
Inka schwieg. Sie fühlte sich hilflos und wusste nicht, welche tröstenden
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