Hypnose
klein wenig nach, als sie einstiegen. Das Blech rund um die Bedienknöpfe AUF und AB war stark abgegriffen, und über das darüber eingravierte Fertigungsdatum 1987 dachte sie jetzt besser nicht nach.
Unter heftigem Geruckel setzte sich der Aufzug in Bewegung. Inka starrte die Taste mit dem beleuchteten U an, bis der Aufzug Sekunden später unsanft zum Stehen kam.
Rebecca drückte die Tür auf. Sie waren im Magazin angekommen. Es brannte die Notbeleuchtung, und dieses Schummerlicht verlieh ihnen ein gewisses Sicherheitsgefühl. Allerdings hätte sich Inka mehr Stille erhofft. Das Brummen der Lüftungsrohre übertönte nicht nur ihre eigenen Schritte, sondern unter Umständen schluckte es auch jegliche Geräusche einer anderen Person, die sich womöglich hier unten aufhielt. Jemand, der vielleicht mit ihrem Kommen rechnete.
Die Bücher lagerten kühl im Vergleich zu den draußen herrschenden sommerlichen Temperaturen. Inka fröstelte.
Sie standen am Beginn einer endlos langen Gangflucht mit sehr eng aneinandergestellten Regalkorpussen – die sich so ergebende durchgehende frontale Metallwand ließ kein einziges Buch sichtbar werden. Wollte man an ein Buch gelangen, musste man den am Regalkorpus angebrachten Knopf drücken, dann schoben sich die tonnenschweren Regale mittels Pneumatikantrieb auseinander und schlossen eine andere Lücke dort, wo zuletzt ein Regal geöffnet worden war, so erklärte es Rebecca leise.
Ein ratterndes Geräusch, danach ein Summen – der Aufzug hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Wer hatte den Fahrstuhl gerufen? Oder war der Aufzug auf seinen Ruhepunkt im oberen Stock programmiert und fuhr nun automatisch zurück?
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als Rebecca ihre Theo rie schief lächelnd bestätigte. »Automatisch.«
Einen Moment lang horchten sie trotzdem angespannt. Der Aufzug kam nicht zurück.
Rebecca orientierte sich an den Beschriftungszetteln der Regale und folgte den aufsteigenden Nummern. Sobald sie auf eine der wenigen Lücken stießen, warf Inka im hastigen Vorbeigehen einen Blick zwischen die Regale. Und immer wieder drehte sie sich um. Der Verstand sagte ihr, dass sie und Rebecca alleine waren – ihr Gefühl sagte ihr etwas anderes.
Sie kamen an einer Art Kreuzung an, wo ein Schreibtisch und einige leere Körbe für die Buchförderanlage standen. Unheimlich, wie dieser verlassene Ort, an dem sonst Hochbetrieb herrschte, nachts wirkte.
Inka holte ihr Handy aus der Jackentasche. Kein Empfang. Verdammt! Das hätte sie sich aber auch denken können. Sie hielt das Handy in alle Richtungen, drückte auf den Tasten herum, so als ließe sich dadurch eine Verbindung herstellen. Kein einziger Balken, nichts.
Rebecca sagte kein Wort. Ihr war sichtlich unwohl, aber mit einem Kopfnicken forderte sie Inka zum Weitergehen auf.
Der Beschriftung folgend bogen sie nach rechts ab. 34/552 , die Signatur kannte sie mittlerweile auswendig. Nach einer Weile ging Rebecca links herum, dann wieder rechts. Alleine hätte sie sich in diesem Labyrinth tatsächlich kaum zurechtfinden können.
Ein paar Schritte noch, dann kam die nächste Kreuzung mit dem Hinweisschild: 3 4 / 110 – 3 4 /585 , auf das Rebecca nur wortlos deutete. Endlich. Als sie auf den Schalter an der Metallfront drückte, und es Zschsch machte, zuckte Inka zusammen. Die Druckluft entwich, und die Fahrregale bewegten sich mit einem lauten Brummen auseinander.
Sie warf Rebecca einen entschiedenen Blick zu und trat in die entstandene kaum schulterbreite Lücke. Sie musste ganz bis nach hinten durchgehen. Das hier war nichts für Leute mit Platzangst , dachte Inka, so eingepfercht zwischen hohen Bücherregalen . Sie verdrängte den Gedanken, was wohl passierte, wenn jemand ungefragt den Mechanismus in Bewegung setzte, während der Suchende hier dazwischenstand …
3 4 /490 … 500 … 530 … Inka bückte sich. Das Buch musste sich wirklich ganz unten in der letzten Ecke befinden. Es war so eng, dass sie sich kaum drehen konnte. 540 … 550 … hoffentlich stand es überhaupt da. 3 4 /552 . Treffer.
Inka zog das Buch mit dem weißen Einband heraus. Tatsächlich: Die beliebtesten Vornamen für Mädchen und Jungen . Genau dieses Buch hatte sie ausgeliehen, als sie auf der Suche nach einem Vornamen für ihr Baby gewesen war. Zufall? Oder was wusste dieser Typ noch über sie?
Sie drehte sich um und sah Rebecca am Ende des schmalen Ganges ungeduldig von einem Fuß auf den anderen treten. Schnell raus aus der Enge! Inka
Weitere Kostenlose Bücher