Hypnose
Halsansatz.
Inka neigte den Kopf und gab ihm die Stelle frei. Sie genoss seine Liebkosungen, aber nur für einen Augenblick. Dann machte sie sich steif. »Peter, ich hatte gestern ein Erlebnis, mit dem ich nicht klarkomme.«
»Ich kann mir schon denken, was das ist, mein Schatz. Und ich hätte dir sagen können, dass so ein Gang in die Rechtsmedizin nichts für dich ist. Da bist du selbst schuld, dass dir die Leichen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und wo wir schon mal dabei sind, ich fand es … nicht ganz korrekt, dass du dir ohne mein Wissen einen Termin in der Rechtsmedizin besorgt hast.«
Sie drehte sich zu ihm um, sodass sie mit dem Po an das Waschbecken gepresst vor ihm stand. »Bitte, versteh das, ich musste der Sache selbst auf den Grund gehen.«
Peter ging einen Schritt auf Abstand. »Andi hat mir deine Gründe schon genannt und von deinen Vermutungen erzählt, und ich möchte dich bitten, und das sage ich jetzt dienstlich, deine journalistische Neugierde im Zaum zu halten und vor allem realistisch zu bleiben.«
»Aber Annabel ist der Überzeugung, Jannis würde noch leben!«
»Das spricht für ihre schlechte psychische Verfassung. Das ist schwer zu akzeptieren, weil es deine Freundin ist, aber dir ist das doch auch klar, oder?«
Was soll mir klar sein?, wollte sie fragen. Dass ich wieder eine Halluzination hatte? Dann wären Annabel und ich ja schon zu zweit. Ich habe Jannis in der Rechtsmedizin vor mir gesehen und Annabel glaubt auch, ihr Freund würde noch leben. Ihr kamen wieder die Worte in den Sinn, die auf dem Zettel am Teddy standen: Du musst noch tiefer graben, um die Wahrheit zu finden.
»Weißt du, was ich glaube, Peter? Annabel hat die Tat mitbekommen, mehr aber auch nicht. Der Täter oder die Täterin will ihr den Mord in die Schuhe schieben. Wenn es denn überhaupt ein Mord war.«
»Jannis ist tot, auch wenn sich Annabels Seele etwas anderes wünscht – so wie wir alle. Die Wahrheit sieht leider anders aus … Ich hol mir dann mal noch ein frisches Hemd. Ich habe heute Morgen zwar geduscht, wollte aber nicht zu dir an den Kleiderschrank gehen.«
Peter verschwand, und in ihrem Kopf drehten sich die Fragen wie in einem Karussell. Was war in der Gerichtsmedizin vorgefallen? Was war Halluzination, und was war Wirklichkeit? Aber spielte dieser Unterschied überhaupt eine Rolle? Eine Halluzination war nichts anderes als der Ausdruck einer tiefen inneren Furcht, die wiederum in einem realen Ereignis begründet lag. Etwas, an das sich nur noch ihr Unterbewusstsein erinnerte. Und wenn sie eine Halluzination gehabt hatte, dann war diese nur der Vorhof zur Hölle gewesen, zum Tor der grausamen Wirklichkeit.
Und noch während sie das dachte, kam die Angst zurück. Die Angst vor der eigenen Angst. In ihrem Kopf kribbelte es, selbst auf ihrem Gesicht spürte sie das heiße Prickeln. Mit den Fingerspitzen rieb sie sich die Wangen, massierte ihre Schläfen und atmete tief durch, um ihr logisches Denken anzuregen.
Jannis war tot, das musste auch sie begreifen, ohne seine Leiche gesehen zu haben. Die Erlebnisse in der Rechtsmedizin, wie sie in ein Leichenkühlfach eingesperrt und anschließend beinahe einer Zwangsoperation ausgeliefert gewesen war, hatte sie als Halluzination einzuordnen. Immerhin war sie so klar bei Verstand, dass ihr das noch gelang, auch wenn sie sich damit gleichzeitig eingestehen musste, dass sie echte psychische Probleme hatte. Und trotzdem war etwas faul an der Sache.
»Inka?«, holte Peter sie aus ihren Gedanken. Er streckte ihr ohne weiteren Kommentar einen Arm entgegen, damit sie ihm die Hemdsärmel schloss. Auch wenn er selbst dazu in der Lage war, mochte er es, wenn sie ihm diesen Gefal len tat. Es war ein seit Jahren lieb gewonnenes kleines Ritual.
Inka zog die Manschette des orangegelben Hemdes mit einem Ruck zurecht und schloss den Knopf. »Annabel ist zu keinem Mord fähig, dabei bleibe ich. Sie ist ein Instrument – vielleicht sogar das von Doktor Brinkhus.«
»Wie kommst du denn jetzt darauf? Ich dachte, du hältst so große Stücke auf ihn?«
»Das tue ich auch. Aber ich muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Ein Grund mehr, mich mit Hypnose zu beschäftigen und die Therapiestunden weiter wahrzunehmen. Ich will mehr über Doktor Brinkhus und seine Arbeit herausfinden.«
»Inka, spiel bitte nicht die verdeckte Ermittlerin! Das ist nicht dein Job!«
»Richtig. Das was ich tue, nennt sich investigativer Journalismus, und das ist mein Job. Wir haben eine
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