Iacobus
französischen Sprache beibrachte, die ich meinerseits bei jeder Gelegenheit, die sich mir des Weges bot, zu vertiefen suchte, indem ich mal mit diesem, mal mit jenem sprach, bis ich mich meines Ausdrucks sicher fühlte. Nie habe ich die Leute verstanden, die behaupten, unfähig zu sein, eine Sprache zu erlernen; Wörter sind Werkzeuge wie die eines Schmieds oder Steinmetzen, und sie bergen nicht mehr Geheimnisse als sonst eine Kunst. Der Unterricht, der sowohl für den Meister als auch den Schüler von Tag zu Tag besser wurde, erlaubte mir gleichermaßen, Jonas die Grundkenntnisse in Fächern wie Philosophie, Logik, Mathematik, Astronomie, Astrologie, Alchimie und Kabbalistik zu vermitteln … Jonas sog jedes einzelne meiner Worte förmlich in sich auf und war danach imstande, Punkt für Punkt alles zu wiederholen, was ich ihm erzählt hatte. Er hatte ein eindrucksvolles Gedächtnis: Nicht nur, daß er eine große Merkfähigkeit besaß, nein, er verfügte auch über die erstaunliche Gabe, all das sofort wieder zu vergessen, was ihn nicht interessierte.
Des Nachts, vor allem wenn wir mitten auf dem Feld übernachteten, betrachtete ich den im Schein der Glut schlafenden Jungen und forschte in seinen Gesichtszügen nach denen seiner Mutter. Und zu meiner Qual fand ich sie auch. Er hatte dieselben feinen Brauen und dieselbe hohe Stirn, und im Oval seines Gesichts zeichneten sich dieselben perfekten Kanten und Schatten ab. Eines Tages müßte ich ihm die Wahrheit erzählen … Aber jetzt noch nicht. Noch war der Augenblick nicht gekommen, ich war noch nicht darauf vorbereitet. Und ich fragte mich voll Angst, ob ich es jemals sein würde.
Wenige Tage nach Jonas' vierzehntem Geburtstag erreichten wir an einem heißen und sonnigen Sommermorgen Paris. Durch den Tour de Nesle ließ man uns die von Philipp II. August errichteten Stadtmauern passieren, und genau auf der anderen Seite ließ man uns auch wieder hinaus: Da wir nicht in der Provinzialkomturei meines Ordens übernachten konnten, suchten wir Unterkunft im suburbium von Marais außerhalb der Stadtmauern, in einer Herberge namens ›Au Lion d'Or‹. Meine Wahl war nicht zufällig darauf gefallen: Wenige Häuser weiter begann jenes Viertel, das einst das dicht besiedelte jüdische Viertel von Paris gewesen war und nun nach der von König Philipp angeordneten Vertreibung der Juden fast verlassen schien. Gleich daneben erhoben sich imposant und majestätisch die spitzen Türme des ehemaligen Bergfrieds der Tempelherren in den Himmel. Man mußte nur für einen Augenblick jenes von dicken Mauern umschlossene Bollwerk inmitten eines teilweise gerodeten Sumpfgebiets bestaunen, um zu begreifen, wie weit die Macht der Templer gereicht hatte und wieviel Reichtum sie dabei anhäufen konnten. Mehr als viertausend Menschen, Waffenbrüder, vor der königlichen Justiz Zufluchtsuchende, Handwerker, Bauern und Juden hatten dort gewohnt. Das wahrlich Unglaubliche war nicht, daß Philipp IV. hinlänglich Mut gezeigt hatte, mitten in der Nacht die massenhafte Verhaftung seiner Bewohner anzuordnen, nein, was vielmehr nicht zu fassen war, daß er es tatsächlich auch geschafft hatte: Diese außerhalb Paris' gelegene Festung galt eigentlich als uneinnehmbar.
Unsere Kammer im ›Au Lion d'Or‹ war groß und sonnig, verfügte über ein breites Schreibpult, einen kleinen Tisch mit einer Waschschüssel und einen vortrefflichen Ausblick auf die Felder des forisburgus von Marais; und außerdem, und das war am wichtigsten, waren die von der Wirtin zubereiteten Mahlzeiten durchaus nicht zu verachten. Mein Holzbett stand mitten im Zimmer, und Jonas' Strohsack lag unter den Fenstern. Zuerst dachte ich, es wäre besser, ihn anderswo hinzulegen, um den Jungen vor einer Lungenentzündung zu bewahren, dann änderte ich allerdings meine Meinung, denn von dort aus könnte er die Konstellationen der Sterne und die Himmelsphänomene beobachten. Ein paar Decken würden ausreichen, ihn vor der nächtlichen Kälte zu schützen.
Man möge mir die Bemerkung erlauben, daß das einzig Schlechte an Paris seine vielen Bewohner sind. Überall begegnet man Studenten, Gauklern, feilschenden Händlern, Adligen auf der Jagd nach Abenteuern, Bauern, Arbeitern, Kaplänen auf dem Weg zu ihren Wohnhäusern oder einem der zahlreichen Klöster der Stadt, Juden, Vagabunden, Armen, Malern, Goldschmieden, Dirnen, Taschenspielern, königlichen Wachen, Rittern, Nonnen … Man erzählt, daß in Paris zweihunderttausend
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