iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Wagen ungesehen hineinschlüpfen kann. Auf den Grundstücken kann man alte Baumbestände und weite Rasenflächen erkennen, die am Hang abfallen und ihren Bewohnern die Elbe zu Füßen legen. Zum gemeinsamen Feiern des Osterfeuers kommen dann die unterschiedlichsten Bewohner von Blankenese zusammen.
Ich guckte immer noch in die meterhohen Flammen des Osterfeuers und in die Gesichter unserer Freunde. Alle wussten von Ingos Krankheit, einige mehr, andere weniger.
Dieses Osterfeuer würde unser letztes sein, zumindest mit nahen Logenplätzen in Form eines kleinen Balkons, besann ich mich. Zum Jahresende hatten wir die Wohnung gekündigt. Die anfängliche Idee einer Reise zu zweit hatte sich zum ernst gemeinten Plan entwickelt. Wir hatten den Gedanken einer längeren Reise schon eine Weile im Kopf gehabt, wollten aber noch einige Jahre damit warten. Wahrscheinlich haftete uns der klassische Werdegang von Schule-Ausbildung-Job-Rente zu fest im Kopf, so dass wir unserem Vorhaben wenig Verwirklichungschance eingeräumt hatten. Jetzt durchbrachen wir unser starres Lebensmuster. Es gab keinen triftigen Grund mehr, den Reisewunsch zu verdrängen. Durch die eigenen Ersparnisse wollten wir uns den zeitlichen Ausstieg aus der Tretmühle ermöglichen. Wir brauchten Abstand! Abstand zum Job, Abstand zum deutschen Alltag, aber vor allem zu uns selbst. Zu dicht standen wir mit unseren Nasen vor der sprichwörtlichen Borke und erkannten den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wir sehnten uns nach Zeit für uns und all die Dinge, die das Leben ausmachten. Wir hatten das Bedürfnis, wieder richtig in Ruhe durchatmen zu müssen, auch um die Zeit des Burn-out hinter uns lassen zu können. Wir verordneten uns selbst einen Tapetenwechsel.
Ich schaute in die Flammen. Trotz des Gedankens, dass ich vieles für die lange Tour aufgeben musste, trieb die Abendluft keine Traurigkeit zu mir herüber. Einen Funken von Melancholie vielleicht, aber mehr nicht. Jeder gab liebgewonnene Dinge ungern auf. Manchmal hielt man so lange wie es nur ging an ihnen fest, selbst mit vorgebeugtem Rücken und in die Länge gestreckten Armen, um dann doch schmerzhaft das Festgehaltene durch die Finger rutschen zu sehen.
Fröstelnd ging ich zurück ins Wohnzimmer. Unsere Wohnung ähnelte, wie in jedem Jahr zu Ostern, einer Jugendherberge. Es türmten sich Reisetaschen, Schlafsäcke, ausklappbare Matratzen und Isomatten in den Ecken auf. Es war ein lebendiges Chaos, nicht von pubertierenden Jugendlichen, sondern von Menschen um die Vierzig, die diesen Zustand noch nicht verlernt hatten. Diese Art des kollektiven Wohnens nahm nicht nur an Ostern dieses Ausmaß an. Wir mochten gerne Gäste um uns haben. Und wenn Ingo und ich nicht zuhause waren, dann lag der Wohnungsschlüssel im Gebüsch neben dem Haus versteckt, so dass Freunde in unserer Wohnung übernachten konnten.
Mein Blick schweifte durch das Wohnzimmer. Auf dem mächtigen Eichentisch, der mit Sicht auf die Elbe ausgerichtet war, standen unzählige halbvolle und von fettigen Fingerspuren übersäte Weingläser neben leeren Kaffee- und Teetassen. Dazwischen standen heruntergebrannte Kerzen.
Ich hörte, wie einige Freunde kein Ende in ihrer Diskussion über die korrekte Reihenfolge der Ereignisse in der christlichen Ostergeschichte fanden.
»Ach Quatsch, die Kreuzigung war Karfreitag.«
»Richtig, aber wann ist er auferstanden?«
»Ostermontag!«
»Unsinn, Ostersonntag ist der Tag der Auferstehung.«
Alle lachten in der kleinen Auseinandersetzung wild durcheinander. Jeder schmiss seine Meinung in die große Runde. Die erlernten, religiösen Puzzlestücke passten nach hitzigen Überlegungen nicht zusammen. Wann hing er wo angenagelt, wann stand er wieder auf? Die ausartende Diskussion konnte schließlich durch einen Telefonanruf bei einem verwandten Pastor klärend beendet werden. Danach sank die Lautstärke der Stimmen wieder auf ein normales Maß.
Über die völlig fehlinterpretierte Ostergeschichte kam das Gespräch der großen Tischrunde plötzlich auf unsere Reisepläne.
»Was wollt ihr machen? Eine Reise mit dem Auto durch Amerika?«, fragte eine Bekannte aus der Runde.
Mit den engsten Freunden hatten wir schon unsere Entscheidung und Pläne besprochen. Die Beweggründe für die Tour waren allen klar gewesen. Das fragende Pärchen am Tisch gehörte nicht zu diesem Personenkreis. Wir hatten sie zufällig draußen am Osterfeuer getroffen und kannten sie nur flüchtig. Die Frau hatte dringend
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