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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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Auslöser dafür war, daß Kid Physiotherapeut wurde. Ob er sich irgendwie verantwortlich fühlte …«
    »Ich habe wirklich keine Ahnung«, sagte Bryan.
    »Was meinen Sie, weshalb er Selbstmord begangen hat?« fragte Jack ganz behutsam.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Bryan kläglich. »Und ich habe viel darüber nachgedacht. Sehr viel. Manchmal habe ich das Gefühl, als dächte ich an nichts anderes, seit es passiert ist. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nur, daß er nicht der einzige ist, der gestorben ist. Ich schwöre bei Gott, manchmal habe ich das Gefühl, als hätte er mich mitgenommen.«

Zweiunddreißig
    D IE T OTENGRÄBERIN
    Sie hatte es in der Zeitung gelesen. In den Daily News. Auf Seite vierzehn. Eine kleine Meldung rechts unten.
    Sie war natürlich nicht überrascht. Obwohl sie betroffen und traurig war. Allerdings nicht so intensiv, wie es ihr lieb gewesen wäre. Sie hatte nicht die Zeit, um angemessen zu trauern. Zum einen war Joe fast die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen, seit dem Moment, als sie an diesem Abend nach Hause gekommen war. Es wäre nicht klug gewesen, sich vor Joe etwas anmerken zu lassen. Zum anderen hatte sie einiges zu erledigen. Sie mußte telefonieren. Mußte um jeden Preis verhindern, daß etwas bekannt wurde oder daß irgendwelche Einzelheiten durchsickerten.
    Trotzdem konnte sie nicht so tun, als wäre mit ihr alles in Ordnung, und am nächsten Morgen bemerkte sie, daß Joe sie beobachtete. Sie kannte diesen prüfenden Blick und dachte unwillkürlich: Er weiß Bescheid. Und dann lachte sie beinahe lauthals auf, denn ihr nächster Gedanke war: Natürlich weiß er Bescheid. Wem wollte sie etwas vormachen? Er hatte immer Bescheid gewußt. Die einzige Frage war, wieviel weiß er?
    Sie würde Kid vermissen. Ihr würde ihr wunderbarer und wertvoller Besitz fehlen.
    Aber ihr war bereits klar, daß sie ihn nicht so sehr vermissen würde, wie sie eigentlich erwartet hätte.
    Weil er niemals hätte versuchen sollen, sie zu verlassen.
    Er hätte niemals versuchen sollen, auch nur darüber nachzudenken oder darüber zu reden oder am Ende gar das Unvorstellbare zu tun.
    Also ja, er würde ihr fehlen. Aber sie fragte sich bereits, wie lange sie wohl brauchen würde, um einen Ersatz für ihn zu finden …
    S AMSONITE
    Sie redeten, verdammt noch mal, über nichts anderes. Im Club. Die ganze Nacht. Der Barkeeper, der Rausschmeißer, die Kellnerinnen. Sogar einige von den Gästen.
    Mr. Wonderful war tot.
    Sie meinten alle, er hätte Selbstmord begangen. Aber sie wußte es besser, nicht wahr? Sie wußte es, verdammt noch mal, viel besser.
    Zumindest nahm sie es an.
    Nein, nein, sie wußte es. Das stand, verdammt noch mal, außer Frage. Sie brauchte einige Zeit, um sich zu erinnern, aber sie brauchte immer einige Zeit, um sich an Dinge zu erinnern. Also ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie wußte, daß ihr irgend etwas im Kopf herumging, und dann fiel ihr ein, was es war. Und als sie es wußte, kam gleich das nächste, was sie beunruhigte.
    Denn sobald sie sich erinnerte, fiel ihr schon etwas anderes ein. Glückwunsch, dachte sie, so eine Scheiße. Zwei Hämmer an einem Tag. Und von all den Dingen, an die sie sich erinnern mußte, waren es ausgerechnet diese beiden, nicht wahr? Es gab ein altes russisches Sprichwort: Je mehr man vergißt, desto länger lebt man. Aber nein, das galt nicht für sie. Sie war jetzt Amerikanerin, also erinnerte sie sich.
    Das erste, woran sie sich erinnerte, war ziemlich verrückt. Aber das zweite war sogar noch verrückter.
    Das zweite war: Verdammter Herr Jesus Christus, ich glaube, ich habe ihn, verdammt noch mal, auf dem Gewissen.
    D IE E NTERTAINERIN
    Eine der Tänzerinnen aus dem Club hatte sie angerufen, um es ihr zu erzählen. Eine Ex -Tänzerin mit dem Künstlernamen Torre, die aber in Wirklichkeit Sue Ellen hieß. Torre arbeitete nicht mehr im Club. Sie war ein wenig zu fett geworden, und man hatte sie gefeuert. Daher arbeitete sie jetzt in einem Laden draußen in Queens, der wirklich das allerletzte war. Nur Penner und Geizhälse, die miese Trinkgelder gaben. Aber sie kannte Kid ebenfalls, und sie hatte davon gehört und deshalb angerufen.
    An diesem Abend im Club war sie gespannt, ob irgendwer sie darauf ansprechen würde, aber niemand äußerte sich dazu. Sie hatte das Gefühl, sie müßte darüber reden, aber sie wußte nicht genau, mit wem. Irgendwann, während sie bei einem Gast saß, hatte sie gesagt: »Gerade ist

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