Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
Vom Netzwerk:
seine Postleitzahl angegeben. Jack warf einen Blick auf das Datum des Poststempels. Der kleine, schwache rote Kreis besagte, daß der Brief am Tag, als Kid Selbstmord begangen hatte, abgeschickt worden war. Also vor sechs Tagen. Er hatte dank der unvollständigen Adresse offenbar ein paar Tage länger auf der Post gelegen.
    Mit einem Finger öffnete Jack das Kuvert. Darin befand sich eine Einladung. Keine besonders elegante oder geschmackvolle, sondern eine vorgedruckte, auf der stand: »Sie sind eingeladen zu«, und dann folgten ein paar freie Linien, die vom Absender auszufüllen waren. Diese Einladung verkündete, daß Jack an Kid Demeters Graduierungs-und Entlassungsfeier vom Hunter College teilnehmen sollte. Er bekäme sein Betriebswirtschaftsdiplom überreicht. Die Feier sollte in zwei Wochen stattfinden. Unter den Text der Einladung hatte Kid noch geschrieben: »Ich weiß, daß es für Dich unfaßbar ist, daß ich es tatsächlich geschafft habe, daher solltest du lieber kommen und es Dir mit eigenen Augen ansehen.« Unterschrieben war die Einladung mit seinem Namen, und danach folgte noch ein PS. Es lautete schlicht »Danke« und war dreimal unterstrichen und mit drei Ausrufezeichen versehen.
    Jack legte die Einladung auf den Couchtisch, ging in die Küche, öffnete eine mittelgroße Flasche Poland-Springs-Mineralwasser und leerte sie zu einem Drittel. Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück und griff wieder nach der Einladung. Er betrachtete sie gute fünf Minuten lang und begriff endlich, was in seiner Magengrube rumorte. Er sprach tatsächlich laut mit sich. Er sagte »Verdammt!« und stieß die Ute Faust in die Luft, eine reflexartige Reaktion. Er steckte die Einladung zurück in den Umschlag, trat mit dem Umschlag in der Hand in den Fahrstuhl, fuhr hinunter in die Garage und setzte sich in seinen schwarzen BMW.
    Während der Fahrt in die Stadt rief er über sein Handy das 8. Polizeirevier in Tribeca an, um sich die genaue Adresse nennen zu lassen.
    Sgt. Patience McCoy schien nicht unglücklich zu sein, ihn zu sehen. Aber andererseits wirkte sie auch nicht gerade glücklich. Sie bot ihm eine Tasse Kaffee an, die er dankend annahm.
    »Der ist zwar nicht so gut wie Ihrer«, warnte sie ihn, »aber er putscht genauso auf.«
    »Er ist prima«, versicherte Jack ihr, nachdem er den ersten Schluck getrunken hatte, und es sah aus, als freute sie sich aufrichtig über das Lob.
    »Nun, was kann ich für Sie tun, Mr. Keller? Heute ist ein ziemlich hektischer Tag.«
    »Das verstehe ich, Sergeant. Ich … hm … ich komme mir im Augenblick ein wenig dämlich vor. Aber ich weiß nicht, wie ich die Sache anders handhaben soll …«
    »Sie brauchen sich nicht dämlich zu fühlen, glauben Sie mir. Nichts, was Sie für mich haben, dürfte so verrückt sein wie der übliche Scheiß, der auf meinem Schreibtisch landet. Das können Sie mir glauben.«
    Jack nickte, griff in die Hosentasche und holte Kids Brief heraus. Er nahm die Einladung aus dem Kuvert und ließ sie auf McCoys Schreibtisch fallen.
    »Okay«, sagte sie, nachdem sie sie gelesen hatte. »Was ist damit?«
    »Es ist eine Einladung zu Kid Demeters Graduierungsfeier.«
    »Das sehe ich.«
    »Begreifen Sie nicht?«
    »Mr. Keller, ich habe nicht den geringsten Schimmer, was ich begreifen soll.«
    Jack bemühte sich, seine Stimme im Zaum zu halten. Er spürte, wie seine Erregung zunahm. »Er hat am Tag seines Todes eine Einladung zu seiner Abschlußfeier abgeschickt.«
    »Ahhh«, sagte McCoy. »Jetzt verstehe ich. Sie meinen, das ist …«
    »Ich meine gar nichts. Es bedeutet, daß er zwei Wochen im voraus geplant hat. Kein halbwegs vernünftiger Mensch tut so etwas und springt dann von einem Hochhaus.«
    »Darin stimme ich Ihnen zu. Kein vernünftiger Mensch tut so etwas. Möchten Sie hören, was ich davon halte?«
    »Ja, sehr gern«, antwortete Jack.
    »Es kann verschiedenes bedeuten. Eine Möglichkeit wäre, daß wir es nicht mit einem vernünftigen Menschen zu tun haben.«
    Jack atmete tief durch. »Sergeant, Kid hat sich nicht selbst umgebracht. Ich glaube, das ist der Beweis.«
    McCoy nickte und knabberte einen Moment lang an ihrer Unterlippe. Dann ergriff sie den Hörer des Telefons auf ihrem Schreibtisch und drückte schnell auf zwei Nummern auf dem Sockel, eine interne Verbindung. Als am anderen Ende abgenommen wurde, sagte sie: »Tu mir einen Gefallen, Schätzchen, und bring mir die Akte über den Kid-Demeter-Selbstmord. Richtig … die meine ich.«
    Jack

Weitere Kostenlose Bücher