Icarus
häuslicher Gewalt bedeutet gar nichts, Jack.«
»Ein Anruf von der Ehefrau eines Mafioso! Mehr ist nicht nötig, um Sie davon abzuhalten, in einem Fall zu ermitteln?«
»Nehmen Sie sich in acht mit falschen Anschuldigungen, wenn Sie nicht wissen, wovon Sie reden, denn sonst werde ich richtig sauer. Es gibt keinen Fall, und es gibt keine Ermittlungen!« Sie brüllte jetzt fast. Ein anderer Polizeibeamter machte Anstalten, zu ihnen zu kommen, doch sie winkte ab und deutete ihm an, alles wäre in Ordnung. Indem sie sich wieder zu Jack umdrehte, sagte sie, diesmal ein wenig leiser: »Wenn Sie noch einmal herkommen, dann entweder, weil man Sie verhaftet hat, oder, weil Sie verdammt überzeugende Beweise dafür haben, daß jemand versucht hat, Sie umzubringen. Ansonsten will ich Ihr Gesicht hier nie wieder sehen. Und das ist das Ende unserer Unterhaltung, denn mein Mann wartet schon viel zu lange auf mich, damit wir endlich essen gehen können. Außerdem haben Sie mich derart in Rage gebracht, daß ich meine guten Vorsätze für dieses Jahr glatt gebrochen habe, nämlich nicht mehr aus der Haut zu fahren, wenn mir etwas gegen den Strich geht!« Sgt. McCoy holte tief Luft. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich kein besonders geduldiger Mensch bin.«
Jack hielt ihrem wütenden Blick stand und sagte: »Würden Sie nur eins tun? In Erfahrung bringen, wo die beiden an dem Tag waren, als Kid starb, Joe und Eva Migliarini, meine ich? Und zwei Typen, die für sie arbeiten, echte Schläger, einer ziemlich groß, um die eins neunzig, ziemlich blaß, der andere klein, um die eins fünfundsechzig, sonnengebräunt …« Er überlegte kurz. »Mit einer Narbe im Nacken. Von einem Schnitt mit einer Glasscherbe.«
McCoy starrte ihn ungläubig an. »Nein«, sagte sie. »Das werde ich nicht. Und Sie auch nicht. Haben wir uns verstanden?«
Jack nickte. Und ohne ein weiteres Wort wandte Sgt. Patience McCoy sich ab und verließ das Reviergebäude, um mit ihrem Ehemann essen zu gehen.
Als sie weit genug entfernt war, nickte Jack abermals. Jawohl, dachte er, wir verstehen uns.
Aber sie irrte sich. Gründlicher konnte sie sich nicht irren. Er würde sich ganz und gar nicht an das halten, von dem sie meinte, daß er es verstanden hatte.
In seiner Wohnung setzte Jack sich an den Computer und begann alles zu notieren, was Kid ihm über sein Team erzählt hatte. Je länger er sich damit beschäftigte, desto mehr veränderte sich die Liste: am Ende enthielt sie jedes Detail, das Jack während des vorangegangenen Jahres über Kids Leben erfahren hatte.
Er setzte den Titel »Kid« in die Kopfzeile und zentrierte ihn. Er wollte so organisiert und präzise wie möglich vorgehen. Er brauchte dafür fast drei Stunden, und als er schließlich den Sessel vom Schreibtisch wegschob und auf den Monitor blickte, wurde ihm bewußt, daß er einerseits eine ganze Menge und andererseits so gut wie gar nichts hatte. Einige seiner Informationen waren faszinierend, andere eher nebensächlich oder schlichtweg unnütz.
Aber unter den nebensächlichen Details, die er aufschrieb, befand sich der Hinweis, daß Bryan Bishop ein T-Shirt mit der Aufschrift »Hanson’s« getragen hatte, als sie bei Jack’s zum Essen verabredet waren. Und Kid hatte einmal erwähnt, daß er in einem Club namens Hanson’s gelegentlich Privatkunden trainierte.
Es war nicht viel, aber immerhin ein Anfang.
Das Hanson Fitness Center befand sich in Soho, in der Green Street zwischen Houston und Prince. Es nahm die gesamte zweite Etage eines großen, aufwendig instand gesetzten Lagerhauses ein. Im ersten Stock befand sich eine Kunstgalerie, deren großes Fenster zur Straße bis in halbe Höhe mit Sand gefüllt war. Während Jack zum Fitnessclub hinaufstieg und einen Blick in die Galerie warf, konnte er nicht entscheiden, ob er ein Kunstwerk vor sich sah oder die Galerie wegen Geschäftsaufgabe geschlossen hatte.
Der Trainingsraum im zweiten Stock zeigte die klassische Aufteilung. Dawaren Gewichtsmaschinen. Viele davon standen auch in Jacks Wohnung, und einige hatte er ebenfalls in Kids Apartment gesehen. Eine Wand war als Kletterwand hergerichtet worden. In einer Ecke hing ein schwerer Sandsack von der Decke herab. Eine Frau bearbeitete ihn gerade, trat und schlug auf ihn ein, während ein Trainer dahinter stand und ihn festhielt.
Als Jack sich umsah, hörte er Bryans Stimme: »Mr. Keller!« rief er, als Jack sich umdrehte und Kids Freund auf der anderen Seite des Raums neben einem
Weitere Kostenlose Bücher