Icarus
einen Blick auf ihren nackten Rücken und eine Seitensicht ihrer Brüste, dann schloß sich die Tür hinter ihr. Sekunden später hörte er die Dusche rauschen und, wie er meinte, sogar einen zufriedenen Seufzer.
Er begann sich in der Wohnung umzusehen. Die Buchauswahl in den Regalen hatte erstaunliches Niveau. Keine billige Unterhaltungslektüre. Dafür eine Menge Freud und Jung und zahlreiche Studien anderer Autoren zu beiden Psychoanalytikern. Er war erstaunt und fragte sich, ob sie die Bücher auch gelesen hatte. Es gab auch mehrere Reihen klassischer englischer Romane: Swift und Defoe und Jane Austen und die Bronte-Schwestern. Sie hatte alles von D. H. Lawrence und John Fowles, dazu zahlreiche aktuelle Romane, von denen Jack noch nie etwas gehört hatte, und Werke von Frauen, deren Namen er zwar kannte, von denen er jedoch noch nichts gelesen hatte: Doris Lessing, Margaret Atwood, Eudora Welty, Kaye Gibbons. Hinzu kamen etwa die gleiche Anzahl Thriller, einige von Frauen geschrieben, Patricia Cornwell und Sara Paretsky, aber vorwiegend von Männern: Parker und Connelly und Bloch. Sie schien eine geradezu zwanghafte Leserin zu sein. Wenn sie sich für einen Autor entschied, dann mußte sie offensichtlich alles von ihm haben.
Er warf einen Blick ins Schlafzimmer. Es unterschied sich total von der restlichen Wohnung. Während Diele und Wohnzimmer tadellos eingerichtet und fast spartanisch und zurückhaltend wirkten, sah dieses Zimmer aus, als wohnte darin ein kleines Mädchen. Überall Plüsch und Spitze und eine Unmenge Stofftiere. Die Farben waren hell – gelb und rosa – und paßten ganz und gar nicht zu den Farben in den anderen Räumen. Auf dem ungemachten Bett sah er einen zerknautschten Pyjama, der dort lag, als hätte sie ihn nach dem Aufwachen schnell ausgezogen und achtlos hingeworfen. Das war nicht die typische Schlafkleidung einer Nachtclubtänzerin. Der Pyjama hätte viel eher zu einer Zwölfjährigen gepaßt.
Das zweite Zimmer, gerade groß genug für ein Doppelbett und einen kleinen Schreibtisch mit Stuhl, ähnelte mehr der restlichen Wohnung. Konservativ. Erwachsen. Auch in diesem Zimmer gehörten einige Bücherstapel zur Einrichtung.
Das Wasser lief noch immer – sie stand schon ziemlich lange unter der Dusche, fast fünfzehn Minuten. Er ging in die Küche, wo nicht viel zu sehen war. Im Kühlschrank ein paar Flaschen Weißwein, ein Glas Erdnußbutter, ein halbes Grillhuhn, das sie fertig zubereitet gekauft hatte, sonst nichts. Es sah nicht so aus, als verbrächte sie viel Zeit in der Küche.
Es dauerte noch fünf weitere Minuten, ehe das Rauschen der Dusche verstummte. Und es dauerte danach ebenfalls fünf Minuten, bis sie wieder erschien. Ein langes weißes Badetuch war um ihren Körper gewickelt, lang genug, so daß es von ihrem Kinn bis zu ihren Knien hinunterreichte. Ein weiteres, kleineres, Handtuch war wie ein Turban um ihren Kopf geschlungen.
»Entschuldigen Sie, daß es so lange gedauert hat«, sagte sie. »Ich muß immer, wenn ich nach Hause komme, diesen Club von meinem Körper spülen. Es ist wie ein Zwang, und bestimmt gibt es dafür auch irgendeine halbwegs plausible psychologische Erklärung, aber das interessiert mich wenig. Ich lasse das Wasser so heiß wie möglich laufen, bis der Boiler leer ist. Wenn ich bade, liege ich manchmal zwei bis drei Stunden in der Wanne. Aber jetzt bin ich in einer Minute bei Ihnen. Wirklich und wahrhaftig in einer Minute.«
Diesmal hielt sie Wort. Als sie aus dem Schlafzimmer kam, trug sie einen schwarzen Sommerrock und ein schwarzes T-Shirt. Keine Schuhe oder Strümpfe. Das Haar war durchgebürstet, aber noch feucht. Er fand, daß sie blendend aussah. Sehr jung und sehr frisch und ausgesprochen begehrenswert.
»Ich weiß, was Sie denken«, meinte sie, nachdem sie im Wohnzimmer Platz genommen und von dem Weißwein gekostet hatten, den sie mitgebracht hatte. Und für einen kurzen Moment fühlte er sich ertappt. Aber dann endete sie mit: »Mein Apartment hat Sie bestimmt überrascht.«
»Ein wenig.«
»Nun, die meisten Mädchen im Club sind wirklich das, wofür Sie sie halten. Die meisten sind ziemlich seicht und nicht sehr gescheit. Sie alle erzählen, daß sie keine Drogen nehmen und nicht mit den Kunden für Geld ins Bett gehen. Dabei tun die meisten genau das. Oder wenn sie es noch nicht tun, dann aber in Kürze.«
»Sie jedoch nicht.«
»Für die meisten ist es das, was sie erwarten. Das ist ihr Leben. Sie verdienen eine Menge Geld
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