Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
Vom Netzwerk:
und lernen vielleicht einen Mann kennen, und dann kündigen sie. Oder sie bleiben so lange in diesem Geschäft, bis sie zu alt dafür sind. Für mich ist das Ganze nur ein Mittel zum Zweck.«
    »Und zu welchem Zweck?«
    »Geld. Ansonsten weiß ich nicht genau, was ich will. Ich dachte für einige Zeit, die Schauspielerei wäre das Richtige. Aber allmählich komme ich zu der Überzeugung, daß ich nicht habe, was man dafür braucht. Aber das ist okay. Ich studiere jetzt. An der Hofstra University. Psychologie. In einem Jahr bin ich fertig.«
    »Demnach sind Sie einundzwanzig, hm?«
    »Zwanzig.«
    »Wie alt waren Sie, als Sie mit dem Tanzen angefangen haben?«
    »Sechzehn. Aber ich sah aus wie achtzehn, und sie haben nicht nachgeprüft. Jetzt bin ich zwanzig und sehe aus wie sechzehn, und jeder will es plötzlich ganz genau wissen.«
    »Macht Ihnen das keine Sorgen?« fragte er, überrascht, daß er sich mit ihr über ihr Privatleben unterhalten wollte. »Daß Sie irgendwann dasselbe tun könnten wie die anderen Frauen?«
    »Sicher«, sagte sie. »Ich wäre dumm, mir deswegen keine Sorgen zu machen. Ich spüre, daß ich bereits auf dem Weg dorthin bin. Es ist verrückt, aber was soll ich tun? Ich versuche, mir eine Perspektive zu erhalten, aber es ist schwer.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Können Sie das wirklich?«
    »Nein«, erwiderte er. »Wahrscheinlich nicht.«
    »Haben Sie was dagegen, wenn ich mir ein Sandwich mache? Ich verhungere sonst.« Sie sprang auf, verschwand in der Küche und kehrte kurz darauf mit einem Erdnußbutter-Marmeladen-Sandwich auf einem kleinen Teller zurück. »Wollen Sie auch eins?« fragte sie. »Sorry, ich wollte nicht unhöflich sein.«
    »Nein. Essen Sie nur.«
    Er beobachtete sie und konnte vor seinem geistigen Auge seine Liste sehen, die Liste, die er über Kid zusammengestellt hatte. Die Entertainerin stand darauf. Ißt mit offenem Mund. Und das tat sie, mampfte vor sich hin mit diesem leicht schiefen Mund, der tatsächlich nicht geschlossen blieb, während sie kaute.
    »Vor ein paar Wochen war ich auf einer Party«, erzählte sie, als sie das Sandwich zu zwei Dritteln verzehrt hatte. »Eine richtige Party. Junge Leute. Freunde vom College. Keiner von ihnen hat eine Ahnung, was ich treibe.«
    »Keiner von ihnen?«
    »Nein«, sagte sie. »Es ist nicht gerade das, was man in einem Gespräch erwähnt. Wie dem auch sein, es war absolut verrückt. Ich habe es richtig genossen. Ein wenig langweilig, wissen Sie, weil sie dachten, es wäre unheimlich cool, Dope zu rauchen und zu trinken, aber es war okay. Und zwei von den Typen haben mich richtiggehend angebaggert. Sie unterhielten sich mit mir, versuchten, sich mit mir zu verabreden. Einer lud mich ein, mit ihm zum Beck-Konzert im Meadowlands zu gehen. Und an diesem Abend kriegte ich es ein wenig mit der Angst zu tun, denn während sie auf mich einredeten, dachte ich dauernd, das ist nicht richtig, eigentlich sollten sie mich dafür bezahlen , daß ich mit ihnen rede. Ich kriege zwanzig Dollar für fünf oder zehn Minuten, mindestens, nur fürs Reden. Es ist doch verrückt, daß ich das dachte, oder?«
    »Nicht sehr verrückt«, meinte er. »Aber Sie haben recht. Es kann einem Angst machen.«
    »Ich erzähle Ihnen noch was Verrücktes. Vergangenes Jahr hatte meine Mutter einen Schlaganfall.«
    »Das tut mir leid.«
    »Nun, es war nicht ganz so schlimm. Sicher, es war ein Schlaganfall, aber sie war ganz okay. Sie mußte in eine Klinik und hätte nachher ganz gut eine private Pflegerin gebrauchen können, aber die konnte sie sich nicht leisten.
    Nun, ich konnte es aber. Ganz leicht. Nur konnte ich ihr nicht das Geld geben, weil sie gar nicht weiß, was ich tue. Sie glaubt, ich wäre Kellnerin, und wie zum Teufel kann eine Studentin, die nebenbei als Kellnerin arbeitet, sich tausend Dollar für eine private Krankenpflegerin leisten?«
    »Und was haben Sie getan?«
    »Nichts. Ich hab den Mund gehalten. Sie sollte selbst sehen, wie sie klarkommt. Und ehe Sie jetzt ›Oh, das ist aber traurig!‹ und ›Warum haben Sie das getan?‹ sagen, sollten Sie wissen, daß meine Mutter ein bißchen verrückt und ein richtiges Biest ist, und ich hab’s getan, weil ich zwanzig bin und mir die Miete für dieses Apartment leisten kann und weil ich fünfundsiebzigtausend Dollar in Investmendfonds angelegt habe und glaube, in fünf Jahren das Zehnfache zusammen zu haben.« Sie verzehrte jetzt den letzten Bissen ihres Sandwichs. »Den Rest können Sie

Weitere Kostenlose Bücher