Icarus
wußte, daß es den Tatsachen entsprach, aber er hatte nicht ein Fitzelchen eines logischen, unumstößlichen Beweises. Er hatte nur das Gefühl in seiner Magengrube. Und sein Vertrauen zu Kid Demeter. Und die Tatsache, daß jemand den Türsummer betätigt und ihn in die Wohnung der Entertainerin eingelassen hatte …
»Nein«, sagte er langsam. »Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß dies hier etwas anderes als ein Unfall war.«
»Sie haben es als Mord gemeldet.«
»Ich glaube, ich habe mich geirrt.«
Sgt. McCoy nickte grimmig, klappte ihr Notizbuch zu und winkte dem Trupp Polizisten, der sich im Wohnzimmer der Entertainerin versammelt hatte. Während ihr Team sich entfernte, sah sie Jack an und sagte: »Ich habe keine Ahnung, weshalb Sie hier sind, Jack, obgleich ich eine ziemlich einleuchtende Vermutung habe. Ich frage Sie nicht, weil ich glaube, daß Sie mir nicht die Wahrheit sagen werden, also was hätte ich davon? Aber ich will Ihnen etwas sagen: Was immer Sie jetzt vorhaben, unterlassen Sie es auf der Stelle. Nicht erst morgen, nicht übermorgen, jetzt, in diesem Moment. Schnüffeln Sie nicht weiter herum, und hören Sie auf, sich an Orten herumzutreiben, an denen Sie nichts zu suchen haben.«
»Sergeant«, unterbrach Herb sie. »Ich muß mich gegen Ihr Benehmen und Ihre Bemerkung verwahren. Mein Mandant hat jedes Recht, eine Frau in ihrer Wohnung zu besuchen.«
»Ich spreche ihm ja gar nicht das Recht dazu ab. Gott weiß, daß ich in jeder Hinsicht für die Verfassung der Vereinigen Staaten eintrete, Sir.« Sie bedachte den Anwalt mit ihrem zuvorkommendsten Lächeln. »Ich bitte ihn nur, damit aufzuhören, dieses Recht wahrzunehmen«, sagte sie.
Herb hatte sich eines Mietwagenservices bedient, um zu Leslees Apartment zu kommen, und er hatte den Fahrer gebeten, mit dem Ford Explorer zu warten. Sie fuhren schweigend zurück zu Jacks Wohnung. Als der Explorer vor dem Gebäude hielt, bat Herb den Fahrer, auch diesmal auf ihn zu warten, und fragte dann, indem er sich zu Jack umdrehte: »Soll ich noch auf einen Drink mit raufkommen?«
Jack schüttelte den Kopf. »Ich bin okay«, sagte er und öffnete die Wagentür.
Herb legte ihm eine Hand auf den Arm und wollte etwas sagen. Doch dann schüttelte er den Kopf, lächelte säuerlich und meinte: »Verdammt, das ist das erste Mal in meinem Leben, daß mir nichts Passendes einfällt.« Jack machte Anstalten auszusteigen, aber Herb hielt ihn zurück. »Aber das hält mich trotzdem nicht davon ab, meine Meinung kundzutun«, sagte er. »Ich weiß nicht, was hier im Gange ist, alter Knabe, und wenn du nicht darüber reden willst, okay. Aber als dein guter Freund rate ich dir, vorsichtig zu sein. Und als dein Anwalt empfehle ich dir, besonders vorsichtig zu sein. Diese Polizistin meinte, du wärest kein Verdächtiger, aber ich kenne die Polizei, und sie hat ein Wort ausgelassen. Sie hat es getan, weil du reich bist und prominent und ich fast genauso reich und wenn auch nicht prominent, so jedoch allgemein hoch geachtet. Das Wort, das sie ausgelassen hat, ist ›noch‹. Du bist noch kein Verdächtiger.«
Damit ließ Herb Jacks Arm los, schaute ihm nach, während er aus dem Wagen stieg, und gab dem Fahrer mit einem müden Kopfnicken zu verstehen, er könne losfahren.
Während Jack in seine Wohnung hinauffuhr, versuchte er, die einzelnen Bruchstücke zusammenzusetzen. Aber die Stücke waren weit verstreut und schienen keinerlei Verbindung miteinander zu haben. Er war zu Leslees Apartment gefahren, hatte bei ihr geklingelt und keine Antwort bekommen. Irgend jemand jedoch war bei ihr gewesen, es mußte so sein. Aber was hatte er dort getan? Ihr die Nadel in den Arm gebohrt? Darauf gewartet, daß sie starb? Und was dann? Jack hatte ein zweites Mal geklingelt, und diesmal war eine Antwort gekommen. Ein kurzes Betätigen des Türöffners, mit dem er ins Gebäude gelangt war. Eine Minute, um die Treppe hochzusteigen? Vielleicht zwei Minuten? Und dann war niemand mehr in der Wohnung. Niemand außer der toten Frau in der Badewanne.
Er versuchte sich vorzustellen, was geschehen sein konnte. Jemand läßt ihn ins Haus … verläßt die Wohnung …
Jack wurde sich bewußt, daß er davon ausging, daß dieser Jemand eine Frau war. Jemand, dem Leslee vertraute.
Ein Mitglied aus Kids Team …
Sie hatte unten bei Leslee geklingelt. Sich als Freundin von Kid zu erkennen gegeben. Vielleicht war das auch gar nicht nötig gewesen. Vielleicht hatte Leslee längst in der Badewanne
Weitere Kostenlose Bücher