Icarus
»Kid war der einzige Mensch, mit dem ich reden konnte.«
»Dom.«
»Häh?«
»Für mich ist das Dom. Er war der beste Freund meines Vaters, und jetzt ist er meiner. Ich habe ihm immer alles erzählt, seit ich zwölf war. Dom weiß alles, was ich jemals dachte.«
»Ja, so war das auch mit Kid und mir. Ich brauchte noch nicht einmal zu reden. Er konnte immer sagen, was ich dachte. Seit wir Kinder waren.«
»Da können Sie von Glück reden. Nicht viele Menschen haben solche Freunde.«
»Ja. Das werde ich vermissen. Und wie.«
Jack holte Grace in dieser Nacht gegen halb eins ab. Sie trug ein kurzes weißes Seidenkleid und weiße Spitzenstrümpfe, die der Phantasie nur wenig Spielraum ließen. Und ihr blieb nicht verborgen, daß sein Blick wie magisch davon angezogen wurde.
»Ich bin nicht gewöhnt, so spät zu starten«, erklärte er ihr, während sie ins Taxi stieg und dem Chauffeur eine Adresse in Tribeca nannte.
»Hoffentlich haben Sie anständig Kaffee getrunken, denn noch werden wir nur auf die vergnügungssüchtige Vorhut treffen. Um die richtigen Spieler zu sehen, müssen Sie noch eine Weile wach bleiben.«
Während der Fahrt in die Stadt gab er ihr sämtliche Informationen über Samsonite, die er hatte. Was sie hörte, schien sie nicht sonderlich zu überraschen. Überrascht reagierte sie erst, als er seine Aufzählung beendete und sie hochsah und feststellte, daß er sie fragend musterte.
»Was ist?« fragte sie. Und ehe er antworten konnte: »Oh. Ich verstehe. Sie glauben, Sie kennen mich, Sie wissen aufgrund von Kids Erzählungen alles von mir.« Als er nickte, meinte sie: »Nun, ich weiß auch sehr viel über Sie.«
»Wirklich?«
»All die wichtigen Dinge, dank Kid. Ich hatte damals keine Ahnung, daß Sie gemeint waren … aber Sie waren es ganz eindeutig. Sie sind abscheulich reich …«
»O ja. Abscheulich.«
»Sie haben Ihren Körperfettanteil von vierundzwanzig Prozent auf vierzehn reduziert …«
»Zwölf.«
»Sind ein geradezu krankhaft leidenschaftlicher Knicks-Fan …«
»Schuldig.«
»Sie haben praktisch im totalen Zölibat gelebt, seit Ihre Frau ermordet wurde …«
Jacks Kopf zuckte hoch. Seine Augen weiteten sich, als er sie anstarrte.
»Autsch«, sagte sie, als sie seinen Gesichtsausdruck gewahrte. »Das war ziemlich geschmacklos, nicht wahr? Tut mir leid.«
»Hat er das gesagt?«
»Stimmt es denn?«
Jack nickte langsam und mit düsterer Miene.
»Es tut mir leid«, sagte sie und legte kurz eine Hand auf seine Schulter. »War es denn so schrecklich, was dort passiert ist? Wollen Sie darüber reden?«
»Nein«, erwiderte Jack. »Das will ich nicht. Ich kann nicht.«
»Kid hat die ganze Zeit darüber geredet. Er war regelrecht besessen davon.«
»Tatsächlich?«
»Er sprach auch ständig von Ihnen. Sie waren sein Idol.«
»Der, der ich mal war, vielleicht. Aber nicht mehr der, der ich jetzt bin.«
»Das glaube ich nicht, Jack. Ich glaube, er wollte immer so sein wie Sie, egal, wer oder was Sie waren.« Sie grinste, berührte mit einem Finger seine Lippen, um behutsam seine ernste Miene in ein Lächeln zu verwandeln. »Irgendwie unheimlich, nicht wahr?«
»Was?«
»Sie und ich. Sie sind sein Idol, und wenn ich die Erfüllung bin, dann bin ich seine vollkommene Frau. Seine Ultimaten Phantasien Auge in Auge einander gegenüber, am Schnittpunkt ihrer Bahnen in die Unendlichkeit … Wurde über dieses Thema nicht mal eine Star Trek -Folge gedreht?« Das Taxi hielt in der Mitte des Blocks. »Wir sind da«, stellte sie fest.
Jack blickte aus dem Fenster auf die leere und stumme Tribeca Street. Da waren ein paar Lagerhäuser, die noch nicht zu Apartments umgebaut worden waren, einige kleine Fabrikgebäude, ein vierstöckiges Bürohaus, und das war es auch schon. Keinerlei Anzeichen von Aktivität. Keinerlei Hinweis auf irgendeinen Club. »Wo, da ?« fragte er.
»Willkommen in der City«, sagte sie. »Folgen Sie mir.«
Sie ging direkt zu einer schweren Stahltür mitten im Block, deren alte rote Farbe unter der Rostschicht kaum zu erkennen war. Während sie auf einen unauffälligen Klingelknopf drückte, blickte Jack an einem Gebäude hoch, in dem nichts darauf hinwies, daß sich darin irgendwelches Leben befand.
»Sind Sie sicher, daß wir hier richtig sind?«
Grace nickte.
»Ich sehe keinen Hinweis.«
Grace nickte wieder. »Sie wollen nicht gefunden werden.«
»Woher wissen Sie dann, daß es hier ist?«
»Ich weiß es einfach.«
Der Summer ertönte, und Grace
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