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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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und ihre Brüste bedeckte. Er sah die Schnittwunden, die tiefen Einstiche. Sah, daß sie regelrecht aufgeschlitzt worden war, daß ihr Bauch weit aufklaffte.
    Er riß, so heftig er konnte, mit seinem Arm, und das Bett klapperte laut, aber Jack konnte sich nicht befreien. Die Handschellen gruben sich in sein Handgelenk, als er erneut daran zog und aufstöhnte. Er merkte, wie er allmählich in Panik geriet, im Bett mit einer Leiche, bedeckt mit ihrem Blut, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben. Er konnte es sich jetzt nicht leisten durchzudrehen, nicht jetzt, also sagte er sich, daß er schon früher viele Leichen gesehen hatte. Keine menschlichen Körper, aber er hatte viel Blut und zerfetztes Fleisch gesehen, etwas anderes war es auch jetzt nicht, und er konnte sowieso nichts daran ändern, und er zwang sich, die Augen zu schließen und tief durchzuatmen und nachzudenken. Denken …
    Dann untersuchte Jack den Bettpfosten. Er hörte auf, an seiner Hand zu zerren, und drehte sich so, daß er mit beiden Händen den Knauf auf dem Pfosten erreichen konnte.
    Er packte ihn und drückte ihn ruckartig nach oben. Er strengte sich an und spürte ein leichtes Nachgeben. Er holte abermals tief Luft, packte den Pfosten erneut und drückte und zog wieder und wieder. Er dachte, daß er sich das Nachgeben nur eingebildet hätte, aber er verdrängte diesen Gedanken und kämpfte sich auf die Knie hoch, stemmte sich damit in die Matratze, um eine bessere Hebelwirkung zu erzielen. Er zwang sich, so kraftvoll er konnte zu ziehen. Sein Kiefer verkrampfte sich, und sein ganzer Körper war aufs äußerste gespannt, und diesmal, ja, eindeutig, spürte er, wie sich etwas bewegte. Ein kräftiger Zug, erneute Bewegung, und dann eine letzte verzweifelte Anstrengung, und er war frei. Der Stahlpfosten löste sich aus seiner Halterung. Jack kippte aus dem Bett und schob, auf dem Fußboden liegend, die Handschellen zum unteren Ende des Pfostens. Sie baumelten an seinem Handgelenk, als er zum Telefon rannte …
    Tot. Nein, nicht tot. Durchgeschnitten. Die Telefonleitung war durchgeschnitten worden, er konnte die ausgefranste Schnur aus der Fußleiste ragen sehen.
    Zitternd, mit kurzen, heftigen Stößen atmend, entdeckte er seine Hose, zusammengeknüllt, mitten im Zimmer auf dem Fußboden. Er zog sie an, suchte in den Taschen nach seinem Mobiltelefon, aber nein, ihm fiel ein, daß er es zu Hause gelassen hatte. Er hatte vergessen, es mitzunehmen, als er Grace abholte. Er sah sein Hemd, zerfetzt, vorn völlig zerrissen, aber er streifte es über und rannte, ohne sich mit Socken oder Schuhen aufzuhalten, zur Tür, hinaus auf den Flur, die Treppe hinunter, wobei er praktisch von Absatz zu Absatz sprang, und durch die Haustür hinaus. Er war jetzt auf der Straße, noch immer rennend. Vor sich an der Ecke entdeckte er eine Telefonzelle.
    Er rannte an einem geparkten Wagen vorbei, und dabei sah er, wie die Windschutzscheibe explodierte. Er stolperte, und dann ertönte eine weitere Explosion. Hinter ihm war eine Schaufensterscheibe in tausend Scherben zerschellt. Jacks erster Gedanke war, daß der Weltuntergang begonnen hatte. Die Welt sprengte sich selbst in die Luft. Der Wahnsinn hatte gesiegt, und die totale Vernichtung hatte eingesetzt. Aber dann begriff er, daß es nichts so Überwältigendes war. Es war viel banaler und viel, viel gefährlicher. Jemand schoß auf ihn.
    Was zum Teufel geschah hier?
    Was ging hier vor, verdammt noch mal?
    Ein weiteres Fenster zerbarst neben ihm, und Jack ging hinter einem geparkten Auto in Deckung. Eine Alarmanlage ertönte, der Lärm hallte durch die Straße. Er hörte Schritte. Rennend. Und dann war da nur noch das monotone Heulen. Jack blieb in Deckung. Er rang keuchend nach Luft. Als er schließlich den Kopf hob, sah er einen Polizeiwagen heranund schlingernd zum Stehen kommen. Zwei Uniformierte sprangen mit gezückten Pistolen heraus. Einer rannte die Straße hinunter in Richtung der Schritte. Der andere baute sich vor Jack auf und zielte mit der Pistole auf ihn. Der Polizist befahl ihm, sich nicht zu rühren, sonst bekäme er eine Kugel in den Kopf.
    Jack war nur zu froh, sich nicht mehr bewegen zu müssen.
    Er blickte nach unten, sah das Blut, das noch immer seinen Körper bedeckte, und schaute wieder zu dem Polizisten hoch. Dabei hoffte er, daß seine Augen seine Angst und seine Unschuld signalisierten, und dann rührte Jack sich nicht mehr, bis der zweite Polizist erschien, keuchend und den Kopf schüttelnd, um

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