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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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sich melden, sobald er wüßte, was er tun würde, doch das tat er nie. Kein Telefonanruf, keine E-Mail, keine Postkarte mit einer Telefonnummer oder einer Adresse. Nichts.
    Jack und Caroline waren am Boden zerstört. Sie diskutierten endlos darüber. Was hatten sie falsch gemacht? Was war geschehen? Spielten Drogen eine Rolle? War er in Schwierigkeiten? Sie versuchten mehrmals, ihn über verschiedene Freunde und Verbindungen am St. John’s zu suchen. Bryan konnte ihnen nicht helfen. Er war genauso verzweifelt, denn Kid hatte auch jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Sogar Kids Mutter mußte zugeben, daß sie zwar Postkarten und Briefe von ihrem Sohn erhielt, aber keine Ahnung hatte, wie sie sich mit ihm in Verbindung setzen konnte. Viele Monate beherrschte Kids Verschwinden ihr Leben, bis Caroline erklärte: »Schluß jetzt. Wir müssen dieses Kapitel abschließen.« Und als Jack erwiderte: »Ich weiß nicht, ob ich das kann!«, schüttelte sie mit Nachdruck den Kopf und sagte: »Wir müssen es. Es ist so, als hätten wir schon wieder ein Kind verloren.«
    Jack ahnte, daß sie recht hatte.

Vier
    Jack Keller erwachte wie immer eine Minute bevor sein Radiowecker sich einschaltete. Und wie immer – jetzt schon seit fast zwanzig Jahren – streckte er, sobald er ihn ausgeschaltet hatte, die Hand aus, um Caroline sanft zu streicheln, ihr anzuzeigen, daß er wach war, es ihm gut ging und sie nicht mit ihm aufzustehen brauchte. Daß es erst 4:30 Uhr morgens war und auf Gottes schöner Erde kein Grund bestand, weshalb sie nicht unter der pastellblauen Daunendecke liegen bleiben und noch fünf oder sechs Stunden schlafen könnte, während er in den Fleisch-Distrikt und dann zum Fischmarkt und danach, falls ihr neuer zweiter Küchenchef, den sie kürzlich von Danny Meyer und seinem Restaurant in 11 Madison Park abgeworben hatten, sich nicht dazu entschlossen hatte, ihm den Weg abzunehmen, zum Gemüsemarkt auf dem Union Square fuhr.
    »Schlaf«, flüsterte er ihr fast jeden Morgen ins Ohr, dann küßte er sie sanft, wobei seine Lippen kaum ihre weiche Wange streiften.
    »Mmmm«, seufzte sie dann, denn obgleich sie nicht die Absicht hatte, etwas anderes zu tun, als weiterzuschlafen, war dies ihr Ritual. Sie liebte es, morgens seine Anwesenheit zu spüren, so kurz sie auch währte. Sie mochte es nicht, aufzuwachen und festzustellen, daß er nicht mehr da war. Es machte ihr Angst. Caroline mochte weder leere Betten noch Überraschungen.
    Aber an diesem Morgen fanden seine Finger nicht das seidene Nachthemd, das sich an ihren Rücken oder an ihre feste und wie immer leicht gebräunte Schulter schmiegte. Seine Hand traf statt dessen auf den kühlen Stoff ihres teuren, naturweißen Leinenlakens, und er riß, für einen Moment verwirrt, die Augen auf, ehe es ihm einfiel.
    Virginia.
    Sie hatten beschlossen, erneut zu expandieren, noch dieses eine Mal, und sie hielt sich unten in Charlottesville, Virginia, auf, wo sie die Eröffnung des neuen Restaurants vorbereitete. Des neuen Jack’s.
    Er blieb noch einige Zeit im Bett liegen und lächelte über das plötzliche Gefühl – nach all den vielen Jahren aufrichtig verblüfft –, daß er sie vermißte, wenn sie getrennt waren. Sie redeten natürlich jeden Tag miteinander. Genaugenommen sogar drei-oder viermal am Tag. Selbst wenn es nur um winzige geschäftliche Details ging, fand er es noch immer reizvoll, mit ihr zu sprechen. Selbst wenn sie knapp und sachlich von Stellflächen und der Anzahl von Tischen und der Unmöglichkeit erzählte, einen guten Restaurantchef für den Speisesaal zu finden, labte er sich an der kühlen Rauheit ihrer Stimme und der Zuneigung, die in ihrer klaren Aussprache und dem singenden Rhythmus mitschwang.
    In letzter Zeit hatten sie sich über eine Vielzahl von winzigen Details unterhalten, und Jack dachte – er erkannte es fast erschrocken –, daß Caroline zum erstenmal seit langer Zeit wieder absolut glücklich zu sein schien.
    Vielleicht zum erstenmal, seit Kid verschwunden war.
    Es war eine Wunde, die, bei ihnen beiden, nicht so schnell verheilt war.
    Jack hatte die Auswirkungen auf Caroline während der nächsten beiden Jahre beobachtet. Niemand sonst hätte es wahrscheinlich wahrnehmen können, aber er dachte, daß sie einsam und weniger fröhlich erschien. Daß sie völlig wiederhergestellt war, spürte er erst, als sie sich entschlossen, dieses neue Jack’s zu eröffnen.
    Es war ihr Baby. Er hatte sich mit voller Kraft auf die Planung und die

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