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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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Eröffnung in Charlottesville stürzen wollen, und anfangs hatte er das auch getan. Aber es kristallisierte sich schon bald heraus, daß Caroline ein besonderes Engagement für dieses Restaurant entwickelt hatte. Und dieses Engagement hatte für sie eine ganz spezielle Relevanz, eine Bedeutung und eine Dringlichkeit, die sie nie zuvor zum Ausdruck gebracht hatte. Sie war davon wie besessen. Es war zu einem ganz persönlichen Anliegen geworden.
    »Ich beobachte dich manchmal in New York«, sagte sie. »Ich sehe die Art und Weise, wie du das Restaurant betrachtest. Nicht das Personal und die Gäste, nein, die Örtlichkeit als solche. Die Bar, die Tische, die abgewetzten Stellen auf dem Fußboden. Für dich ist es ein lebendiges, atmendes Wesen.«
    »Es ist ein Teil von mir«, sagte er.
    »Manchmal, mein lieber Ehemann, wünschte ich, du würdest mich genauso betrachten wie diese gottverdammte Schwingtür, die du für die Küche angeschafft hast.«
    »Eine wirklich schöne Tür«, meinte er grinsend, und sie schüttelte in gespieltem Unwillen den Kopf.
    Aber dann griff sie seine Hand, drückte sie leicht und strich mit den Fingerspitzen über die Schwielen seiner rechten Handfläche. »So geht es mir da unten in Virginia«, offenbarte sie ihm, und er war überrascht über den Ernst in ihrer Stimme. »Ich habe da unten etwas Schönes. Etwas, das mir gehört.«
    Sie sagte niemals, daß sie es allein in Angriff nehmen, diesmal ihren Kopf durchsetzen wollte, aber er kannte sie zu gut, um die Signale zu übersehen. Und er verstand auch, daß es für sie die Möglichkeit war, das zu tun, was er in London getan hatte – für eine Weile allein zu sein und ihre eigenen Geheimnisse zu entwickeln. Zuerst einmal war das Restaurant ihre Idee gewesen. Die Stadt war nur ungefähr dreißig Meilen von der Farm ihrer Eltern entfernt. Sie befand sich noch immer in Familienbesitz, obgleich sie mittlerweile nur selten benutzt wurde. Carolines Vater war tot, nunmehr seit fast neun Jahren. Ihre Mutter konnte sich nicht dazu durchringen, das Anwesen zu verkaufen, konnte es aber auch nicht über sich bringen, dort zu wohnen. Sie fuhr nach der Beerdigung einfach nicht mehr hin. Zu viele Erinnerungen, sagte sie. Dort wäre sie gewesen, als sie jung war. Sie wollte nicht, daß der Ort Zeuge würde, wie sie alt wurde. Daher war die Farm zu einer Art elegantem Zufluchtsort geworden, einem stattlichen – wenngleich von Geistern bevölkerten – zweiten Zuhause. Carolines Schwestern verbrachten dort gelegentlich ein Wochenende. Die älteste, Llewellyn, hatte zu viele Kinder mit zu vielen Footballspielen und einen Ehemann mit zu vielen Golf-Verabredungen, um es zu einer ständigen Bleibe zu machen. Die andere Schwester, Susanna Rae, niemals verheiratet, stets irgendwie verärgert über Carolines Erfolg und Glück, schien sich bewußt fernzuhalten. Daher blieb der wunderschöne Sitz die meiste Zeit der Obhut und Fürsorge der Trottys überlassen, des schwarzen Ehepaars, das schon so lange für die Familie arbeitete, daß die Jahre nicht mehr zu zählen waren.
    Obgleich sie von dort geflüchtet war, so schnell sie konnte, hatte Caroline immer eine ganz besondere innere Bindung zu Virginia verspürt. Es störte sie irgendwie, daß diese Bindung noch immer bestand, aber sie schätzte das Gut wegen seiner Schönheit und weil es sie an den alten Süden erinnerte, der rasend schnell von der besitzergreifenden Anonymität der Starbucks Coffeebars, Gap-Stores und Blockbuster-Videohallen verschlungen wurde. Vor allem liebte sie die Farm, wo sie Füchse jagen und Skeetschießen und, in einer plötzlichen Eingebung, ein Paar glatte, glänzende Reitstiefel anziehen, auf ihr Lieblingspferd springen und einen wilden Ritt über die hügeligen Weiten unternehmen konnte.
    Im Laufe ihrer Ehe waren sie viele Male zusammen dort gewesen, aber Jack war durch und durch Stadtmensch geblieben. Er war der Überzeugung, wäre der Mensch dazu bestimmt gewesen, sich zu Pferde fortzubewegen, hätte er niemals den BMW erfunden. Er geriet jedesmal fast in Ekstase, wenn er bei ihrer Rückkehr die Skyline von Manhattan wiedersah, und es war für ihn stets ein ganz besonderer Reiz, in ihr Apartment zurückzukehren und von der Terrasse auf den Central Park hinauszublicken. Das war das Symbol für die perfekte Verbindung von Mensch und Natur – der Central Park. Gute, kampfbetonte Footballspiele im Herbst, gefolgt von einem kühlen Bier, waren, verdammt noch mal, um einiges sinnvoller,

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