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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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dort war, in der offenen Badezimmertür, hatte er gesagt: »Du hast Angst.« Ganz ernst und beiläufig sagte er es. Es war keine Frage, sondern klang viel definitiver. Eher wie eine Antwort.
    »Warum sollte ich Angst haben?« fragte sie und schleuderte ihr mit blonden Strähnen durchsetztes Haar nach hinten. Männer schmolzen dahin, wenn sie ihr Haar nach hinten schleuderte. Vor allem, seit es blond gesträhnt war.
    Er schmolz jedoch nicht dahin. Er sah sie nur ein paar Sekunden länger an. Und meinte dann: »Weil du gescheit genug bist, um zu wissen, was mit dir passieren wird.«
    Sie wollte fragen: Was meinst du? Was geschieht mit mir? Aber sie tat es nicht, denn er hatte recht. Sie wußte es bereits.
    Genau wie sie wußte, daß sie nicht hübsch genug war. Da kam ihr zum erstenmal der Gedanke, daß sie sich in Kid verliebt hatte.
    Gleichzeitig begriff sie zum erstenmal, wozu sie fähig war.
    Und zum erstenmal dachte sie, daß sie ihn töten könnte.
    Es verdad.
    Ihn wirklich und wahrhaftig töten.
    D ER T ODESENGEL
    Sie konnte nicht fassen, daß ihr Leben sich so gut entwikkelte.
    Bisher war es ein Traum von einem Tag gewesen. Sie wachte auf, allein, und genoß diesen Zustand, machte einen Dauerlauf, umrundete den großen Teich im Central Park, zweimal. Sie joggte locker und entspannt, mit klarem Kopf, und konnte sich auf das konzentrieren, was sie gerade tat: einen Fuß vor den anderen setzen und gleichmäßig ein-und ausatmen. Sie lief ihr eigenes Tempo, maß sich mit niemandem. Trabte aus dem Park hinaus, bis sie einen halben Block von ihrem Apartmentgebäude entfernt war – sie genoß das Leben auf der Upper West Side in vollen Zügen, was konnte besser sein? –, und ging dann das letzte Stück ihres Weges, lächelte den Portier an, fuhr in der stillen Liftkabine nach oben und betrat das Apartment, das sie so sehr liebte. Sie schlenderte durch die Räume, strich mit den Fingerspitzen über die Kunstwerke an den Wänden und das Stück Stoff aus Indien, das aufgezogen und gerahmt über der eleganten Shabby-Chic-Couch im Wohnzimmer hing. Die Kunstwerke zu berühren machte sie für sie erst real. So wie ihr Leben für sie jetzt real war.
    Sie hatte die dunklen, nach französischer Art gerösteten Kaffeebohnen am Abend vorher gemahlen und das Kaffeemehl zusammen mit je einer Prise Zimt und Vanille in die glänzende schwarze Cuisinart-Kaffeemaschine eingefüllt, so daß sie jetzt nur noch Wasser für vier Tassen hinzufügen und die Maschine einschalten mußte. Der Duft frisch aufgebrühten Kaffees erfüllte sofort die Küche, während sie sich die verschwitzten Kleider vom Leib riß und im Wohnzimmer auf den Fußboden fallen ließ. Dann eilte sie ins Badezimmer und nahm eine heiße Dusche, ließ das dampfende Wasser, angenehm prickelnde, kleine heiße Nadelstiche, auf ihre Haut prasseln, während sie sich abschrubbte und ihr Haar zweimal sorgfältig shampoonierte.
    Ihre Kleider hatte sie am Vorabend bereitgelegt – ihr Leben durchzuorganisieren war besser, wie sie schon vor längerer Zeit festgestellt hatte –, und sie schlüpfte in das Kostüm, das sie an diesem Tag zur Arbeit tragen wollte. Sie würde vor der Party, die sie an diesem Abend veranstaltete, nicht mehr nach Hause fahren, daher mußte die Kleidung beiden Anlässen gerecht werden. Der schwarze Nadelstreifenrock war kurz genug, um offenherzig und sexy zu erscheinen, aber gleichzeitig saß er so luftig, daß er zugleich geschmackvoll und elegant wirkte. Das passende Jackett war konservativ, aber zeitlos elegant geschnitten. Sie schloß die Knöpfe bis auf die beiden obersten, so daß lediglich ihr langer, anmutiger Hals und eine Andeutung von Brustansatz enthüllt wurden. Um den konservativen Eindruck von Schnitt und Stoff zu mildern, trug sie unter dem Jackett keine Bluse. Sollten die Leute ruhig neugierig sein und Stielaugen kriegen. Eines hatte sie schon vor langer Zeit begriffen: Es war immer besser, der Umwelt das eine oder andere Rätsel aufzugeben.
    Sie trug nur halbhohe Pumps. Sie würde den ganzen Tag auf den Beinen sein, konnte daher keine höheren Absätze tragen, aber sie entschied sich gegen flache Schuhe, sondern wählte die Manolo Blahniks, die damals, als sie sie kaufte, ungemein extravagant erschienen. Der Absatz steigerte ihre Körpergröße auf eins fünfundsiebzig, und das, so entschied sie, war ein respektables Maß.
    Ihr rötliches Haar – eigentlich mausbraun, jetzt aber mit Henna leicht getönt, so daß es einen kupferfarbenen

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