Icarus
ein Fehler gewesen. Aber sie hatte aus irgendeinem Grund angenommen, daß es ihm gefallen würde, daß es sie beide noch enger zusammenführen würde. Das tat es aber nicht. Es hatte ihm Angst gemacht. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber sie konnte es in seinen Augen lesen. Es hatte ihn beunruhigt, als wäre diese Verbindung irgendwie krank, falsch, fast pervers.
Nun ja. Jetzt war es zu spät, nicht wahr?
Sie dachte oft, daß es einen Ort geben müsse, wo man sich anstellen könnte und ein Ticket erhielt, das einem gestattete, bestimmte Teile seines Lebens noch einmal zu wiederholen. Einen zweiten Aufschlag, zum Beispiel, oder die Wiederholung eines Punktes. Wie bei einem freundschaftlichen Tennismatch.
Aber es gab im Leben keine zweiten Aufschläge, oder etwa doch? Sie war der lebende Beweis dafür. Desgleichen der Schmerz in ihrem Herzen. Sie fragte sich, ob dieser Schmerz jemals vergehen würde.
Allmählich gelangte sie zu der Überzeugung, daß er ein ständig vorhandener Teil von ihr war. Ein physisches Anhängsel. Treffen wir uns zum Tee? O ja, ich bin leicht zu erkennen. Ich bin eins fünfundsechzig groß, habe kurzes schwarzes Haar, graue Augen und ein großes Loch in meinem Herzen.
Der Mann hatte die Augen jetzt aufgeschlagen und genoß lächelnd das Gefühl, das ihre Fingernägel erzeugten, als sie an seiner Wirbelsäule entlangfuhren.
Kid Demeter war ein attraktiver Mann, Sie ging gern mit ihm ins Bett. Sie war ganz allgemein gern mit ihm zusammen, basta. Verdammt, sie mochte ihn ganz einfach.
Aber sie liebte Jack Keller.
Und, wie immer, fragte sie sich gleichzeitig, ob sie in diesem Punkt irgend etwas unternehmen könnte.
Fünfundzwanzig
Es war Montag, die letzte Woche in einem wundervollen Mai, und Dom machte, was er seit eh und jeh mittags an Montagen tat. Er arbeitete und viertelte ein junges Kalb. Es war eins von zweien, die von einem der Spitzenköche der Stadt für eine private Party bestellt worden waren. Das konnte Dom am besten: Ihm machte diese Arbeit nicht nur Spaß, sondern er hatte dem Koch das Doppelte des üblichen Preises für diese Prachtstücke berechnet und hatte noch nicht einmal feilschen müssen. Er betrachtete den Mann zu seiner Rechten, der damit beschäftigt war, das zweite Kalb zu zerlegen, und lächelte.
»Du hast absolut nichts verlernt, Jackie-Boy.«
Jack schaute auf, zufrieden mit seiner Arbeit. Er legte das Metzgermesser, dessen rasiermesserscharfe Klinge glänzte und blutbeschmiert war, auf den Tisch. »Ich liebe diese Messer«, sagte er. Er betrachtete die Reihe von acht Stück, jedes unterschiedlich lang und breit, die Dom auf einem der Hauklötze bereitgelegt hatte. Diese Messer waren gut vierzig Jahre alt, sie waren schon da gewesen, als Jack noch ein Kind war. Dicke, dunkle Holzgriffe, roh zurechtgeschnitten und abgenutzt, aber irgendwie elegant und sehr gut in der Hand liegend. Die Klingen wurden täglich gewetzt und schnitten mühelos durch Muskeln und Sehnen und sogar Knochen. Jack ging hinüber und griff nach dem Fleischbeil. Er drehte es hin und her und inspizierte es von allen Seiten. »Das sind richtige Kunstwerke, nicht wahr?«
»So weit würde ich nicht gehen«, sagte Dom. »Sie sind sehr schön. Im Grunde aber sind sie nur verdammt scharf, und man kann mit ihnen sehr gut arbeiten. Aber es freut mich, daß sie dir so gut gefallen. Falls du deinen alten Job zurückhaben willst …«
»Ich vergesse mal wieder, mit wem ich rede«, sagte Jack, dann schaute er auf die Uhr. »Ich habe ihm versprochen, nicht zu spät zu kommen.«
»Kid war noch nie pünktlich, seit er zwölf war«, stellte Dom fest. »Beruhige dich.«
»Es ist nur …«
»Ja, ja, ich weiß, was es nur ist. Es ist nur, daß du nicht mehr im Restaurant warst, seit …« Er zögerte, sah die Angst in Jacks Augen, entschied, daß er einfach weiterredete, es war bestimmt das Richtige. »… seit sie gestorben ist, und du bist deswegen furchtbar nervös. Du hast jedes Recht, deswegen nervös zu sein, Kumpel. Und weißt du was? Du fühlst dich für eine Weile beschissen, doch dann wird es besser. Du wirst es irgendwann sowieso tun müssen, also warum nicht jetzt? Und glaube ja nicht, daß ich dich irgendwie von dieser Sache ablenken will, aber eins muß ich dir sagen, du gehst wieder völlig normal. Du siehst wirklich gut aus. Wer hätte gedacht, daß Kid genau gewußt hat, was er tat?«
»Das habe ich gehört.« Es war Kid. Seine Stimme kam von irgendwo zwischen den hängenden
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