Icarus
Kid, kindlichnaiv und absolut liebenswert. Keiner dieser Eindrücke hatte sich geändert, während Bryan sich einen Stuhl zurechtschob, zögerte, dann Jack verlegen die Hand entgegenstreckte.
»Sie werden sich bestimmt nicht mehr an mich erinnern, Mr. Keller«, sagte Bryan in einem Ton, als wollte er sich dafür entschuldigen, während sie sich die Hand schüttelten, »aber …«
»Natürlich erinnere ich mich an Sie, Bryan«, sagte Jack. »Ich sehe noch immer, wie Sie damals den Block machten, der Kid den Weg frei hielt. Ich meine das Meisterschaftsspiel …«
»Gegen Malloy«, sagte Bryan, und als Jack nickte, leuchtete Bryans Gesicht auf.
»Wirklich ein Monsterblock«, sagte Jack.
»Ich habe Sie immer gut leiden können, Mr. Keller«, gestand Bryan ihm, und Jack dachte, daß er noch nie bei jemandem ein derart erfreutes Lächeln gesehen hatte.
»Du Klotzkopf«, sagte Kid jetzt und schaute in Bryans Richtung. »Ich hab dir gesagt, du solltest eine Krawatte tragen.«
Bryan betrachtete seinen Aufzug – Jeans, Turnschuhe, ein Muskelshirt mit der Aufschrift HANSON GYM auf der Brust und ein deutlich zu weites Sportsakko aus Tweed darüber – und zuckte die Achseln. »Ich dachte, ich sehe ganz okay aus«, meinte er.
»So ist es ganz in Ordnung«, versicherte Jack ihm, und Bryan grinste verlegen.
Jack wartete, bis Bryan bestellte – die Kellnerin war hocherfreut, eine weitere Gelegenheit zu erhalten, an ihren Tisch zu kommen –, und hob dann den Manila-Umschlag hoch, der vor ihm auf dem Tisch lag. Kid, der Jack seinen Geschäftsplan drei Tage vorher gegeben hatte, verfolgte mit nervöser Miene, wie Jack den Umschlag öffnete und einen Stapel Papiere herauszog. Er knallte sie auf die Tischdecke – ein wenig zu theatralisch, wie selbst ihm in diesem Moment bewußt wurde – und sagte: »Verratet mir mal, warum ihr beiden unbedingt einen Fitnessclub eröffnen wollt.«
»Weil wir das schon immer wollten«, antwortete Bryan aufgeregt, begeistert. »Schon seit wir Kinder waren …«
»Bryan«, sagte Kid, nicht zu scharf, aber ausreichend betont, so daß der größere Mann verlegen dreinschaute und sofort verstummte. Kid wandte sich an Jack und erklärte ernst und ganz ruhig: »Davon haben wir ständig geredet, Jack. Als wir anfingen, mit Gewichten herumzuhantieren, und als wir mit dem Football begannen und einiges über den Körper lernten und darüber, wie alles zusammenhängt, war es das, was wir eigentlich wollten. Zusammen wissen wir eine ganze Menge. Ich meine, du siehst ja selbst, wie die Mauer …« – er hielt inne und deutete mit einem Kopfnicken auf Bryan, »Die Mauer« war offensichtlich Kids alter Spitzname für ihn –, »wie Bryan aussieht. Das bedeutet eine ganze Menge. Es ist durchaus beflügelnd, wenn jemand in den Club kommt und mit einem solchen Trainer arbeiten darf. Und ich weiß auch einiges: Physiotherapie, unterschiedliche Trainingsmethoden. Und jetzt, wo mein Studium fast abgeschlossen ist, weiß ich auch ziemlich genau, wie das Geschäft an sich laufen soll … wie man das Ganze in Gang bringt. Ich glaube, für das, was wir zu bieten haben, gibt es einen Markt. Einen kleinen, auf persönliche Betreuung ausgerichteten Fitnessclub, nicht allzu billig, mit Top-Geräten, absoluten Spitzentrainern … Einen Club mit Klasse.« Er schaute sich im Restaurant um. »Genauso wie dieser Laden.«
Jack schaute Kid für einen Moment prüfend an, dann nickte er. »Okay«, sagte er. »Egal, was es kostet, ich übernehme die Hälfte.«
Kid und Bryan sahen einander in verblüfftem Schweigen an. Beiden schien es die Sprache verschlagen zu haben, bis Bryan herausplatzte: »Ist das ein Scherz?«
»Ich scherze nicht«, sagte Jack.
»Die Hälfte … egal von welcher Summe?« fragte Kid.
»Du hast es erfaßt.«
Kid brachte kaum einen zusammenhängenden Satz zustande. »Jack … das ist unfaßbar … ich meine … ich weiß nicht, was ich sagen soll … ich meine, das ist wirklich eine Riesensache für mich …«
»Das weiß ich. Deshalb tue ich es ja.«
»Danke, Mr. Keller.« Bryan war völlig durcheinander. Er wußte gar nicht, wo er anfangen sollte. »Mein Gott … ich habe nie jemanden gekannt, der so etwas für mich getan hätte. Ich …«
»Nun, ich bin bereit dazu. Ich hoffe, ihr beide habt es verstanden, klar? Ich sagte, ich tue es, und ich werde es tun.«
»Ja, Jack, das haben wir verstanden. Wir …«
»Aber es wird nicht funktionieren.«
Erneut senkte sich Schweigen auf den Tisch herab.
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