Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
wie sich das schwindende Licht des Abendhimmels in seinen schwarzen Bärenaugen spiegelte, und spürte, wie sie rot wurde. Die heutige Nacht war anders. Sie wollte einfach nicht, dass sie aufhörte. Das war alles. »Ich meine, du musst nicht gehen«, fuhr sie fort. »Es ist schon in Ordnung. Ich vertraue dir. Du kannst wieder in deinem Zimmer schlafen.« Dann fügte sie schnell noch hinzu: »Nur schlafen.«
Er musterte sie eine Weile schweigend. Cassie trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Sie wünschte, sie könnte die Worte, die sie eben ausgesprochen hatte, wieder in ihren Mund zurückholen. Vielleicht hätte sie ein bisschen nachdenken sollen, bevor sie die Einladung aussprach. Alles würde sich verändern, wenn er blieb, das wusste sie. Aber sie schreckte davor zurück, genauer darüber nachzudenken, auf welche Weise.
»Wie du wünschst«, sagte er.
Er wartete, dass sie voranging. Sie musste an ihm vorbei, als sie den Balkon verließ. Dabei streifte sie ihn leicht, legte ihre Hand auf seinen Rücken und vergrub die Finger in seinem Fell. Das hatte sie schon tausendmal getan, doch jetzt zog sie ihre Hand wieder zurück. Er war nicht einfach bloß ein Bär. Sie dachte daran, wie er seine Arme um ihre Taille gelegt, wie sie seinen Atem in ihrem Nacken gespürt hatte. Zum ersten Mal seit jener ersten Nacht hatte er sich wieder in einen Menschen verwandelt.
Sie bat ihn, im Korridor vor dem Schlafzimmer zu warten, während sie sich auszog und in ihren Schlafanzug aus Baumwolle schlüpfte – und diesen dann gegen das seidene Nachthemd austauschte, das sie in ihrer ersten Nacht im Schrank gefunden hatte. Sie redete sich ein, sie täte das nur aus reiner Höflichkeit – das Nachthemd war schließlich ein Geschenk gewesen – , und kroch unter die Bettdecke. »Fertig. Du kannst jetzt reinkommen.«
Der Eisbär tapste auf sanften Pfoten ins Zimmer.
Als er sich dem Nachttisch näherte, hüllte sich Cassie fest in ihre Bettdecke. Sie konnte es sich immer noch anders überlegen, das wusste sie. Wenn sie ihn bitten würde zu gehen, würde er es tun. Aber das fühlte sich feige an. Schließlich war das hier Bär. Und sie hatte ihn hierher eingeladen, weil er ihr Freund war. Freunde konnten sich sehr wohl ein Bett teilen.
Sie wünschte, sie hätte den Schlafanzug anbehalten.
Er blies die Kerze aus. Sie flackerte ein letztes Mal auf und erstarb mit dem typischen Duft wachsgesättigten Rauches.
Im Zimmer war es jetzt so dunkel, dass man die Finsternis beinahe mit Händen greifen konnte. Bär (nach der Art, wie die Matratze einsank, jetzt in menschlicher Gestalt) legte sich neben ihr ins Bett. Sie erinnerte sich noch gut an das letzte Mal, dass das geschehen war – in ihrer Hochzeitsnacht. »Wenn du mich anrührst, hole ich sofort wieder die Axt raus.«
Sie konnte ihn seufzen hören. »Ich würde dir nie wehtun. Jedenfalls nicht mit Absicht. Niemals. Das solltest du inzwischen wissen.«
»Ich schmecke nicht halb so gut wie eine Robbe.«
»Hm, an dir ist nicht genug Speck dran«, stimmte er zu.
Sie spürte, wie sich die Matratze bewegte, als er seine Schlafposition einnahm. Sie selbst lag flach auf dem Rücken, steif wie ein Eisblock. »Schnarch nicht!«
»Dein Wunsch ist mir Befehl.«
Sie schnaubte. »Wie süß.«
»Gute Nacht, Cassie.«
»Nacht. « Sie zog die Decke bis unters Kinn und hörte zu, wie er atmete. Es klang wie sanftes Meeresrauschen, wurde langsamer und langsamer. Schlief er wirklich ein? Sie stupste ihn an. »Bist du wach?«
»Jetzt schon.« Er rollte sich herum, und sie spürte, wie die Matratze sich in seine Richtung senkte. Vermutlich blickte er sie direkt an. Ihr ganzer Körper kribbelte wie Tausende von Ameisen. Naja, zumindest gab ein vier Meter großer Eisbär keinen vier Meter großen Menschen ab, sagte sie sich. Er war, wenn überhaupt, etwas mehr als zwei Meter groß.
»Rede mit mir«, sagte sie. »Erzähl mir eine Geschichte!«
»Wie du wünschst«, antwortete er. »Es war einmal ein kleines Känguru … «
Sie lächelte. »Känguru?«
»Ja, Känguru. Und dieses Känguru lebte … «
Cassie erstickte fast unter der Decke. Sie strampelte sich frei, und ihr Fuß traf etwas Festes. Ein Grunzen ertönte. Verschlafen blinzelte sie sich wach. Wände grunzten nicht. »Bär, bist du das?«
»Hmm.«
Sie stieß härter zu.
»Au!«
Geschah ihm recht. Er hatte sich in der Mitte des Bettes breitgemacht. Sie riss die Decke wieder hoch und rollte sich mit ihr auf den Kissen
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