Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
haltend, stürmte Cassie vorwärts, sprang kleine Miniaturkaskaden hinunter. Wasser, Steine und Zweige spritzten unter ihren Füßen nach allen Seiten.
Sie musste schneller laufen – für Bär, für Dad, für Gail, für das Kind, das sie in sich trug. »Bleib stehen!« Über Büsche und Wurzeln springend, raste die Espe am Ufer neben ihr her. Sie streckte ihre stockartigen Arme nach Cassie aus. »Es ist zu gefährlich!«
Cassie wich dem Griff des Baummädchens aus, stolperte über ein paar lose Steine und fiel hin. Ihre Hände schrammten über Fels. Sie hielt ihren Bauch fest und rappelte sich wieder hoch.
In der Entfernung hörte sie ein Donnern, das immer lauter wurde.
»Nein, nein, nein«, schrie die Espe. »Gefahr! Du musst stehen bleiben!« Ihre Stimme klomm höher und höher, bis sie schließlich nur noch ein hohes Kreischen war. »Halt!«
Cassie hörte jetzt ganz deutlich einen Wasserfall. Und plötzlich sah sie ihn zwischen den Fichten. Blau und wild und wunderschön rauschte er mitten durch den Wald: der Fluss!
Zweige schlugen nach ihr. Sie hielt die Arme schützend vors Gesicht und rannte weiter. Vor ihr zwängte sich das Flüsschen zwischen einigen großen Felsbrocken hindurch und stürzte spritzend und schäumend drei Meter in die Tiefe, hinein in das strudelnde Wasser des Flusses. Auf einem dieser Felsen hockte Großvater Wald und wartete auf sie.
Cassie senkte den Kopf wie ein Stier beim Angriff. Ihr Widersacher war jetzt nur noch zehn Schritte entfernt. Als sie sich in die Lücke zwischen den Felsen warf, begann er auf sie einzureden wie auf ein ungezogenes Kind. »Nein, Cassie. Nein«, sagte er streng. »Du wirst dir wehtun. Du wirst deinem Baby wehtun.«
Noch fünf Schritte.
Er streckte ihr seine knorrige Hand entgegen. »Du musst mir vertrauen. Ich verspreche dir, dass du bei mir in Sicherheit bist. Ich werde mich um dich kümmern. Ich werde dein Kind wie mein eigenes aufziehen.«
Gleich war sie bei ihm.
»Denk an dein Baby! Es verkörpert die Zukunft«, fuhr er fort. »Sei ein braves Mädchen! Nimm meine Hand! Komm mit mir nach Hause!«
Jetzt war sie direkt neben ihm. »Den Teufel werde ich tun!«, schrie sie, duckte sich unter seiner Hand hindurch und schlitterte den Felsen hinab. Die Espe kraxelte ihr nach, wollte sie aufhalten. »Nicht, kleine Mutter!« Ihre Finger krallten sich in Cassies Arme wie die Klauen eines Raubvogels.
Cassie rollte über die Felsen abwärts und stürzte mit den Füßen voran ins Wasser. Sie prallte auf die scharfen Steine am Grund des Flusses und überschlug sich. Das Gesicht schmerzvoll verzogen, sog sie zischend Luft ein. Der Wasserfall pladderte ihr ins Genick. Sie konnte die Espe schreien hören.
Als sie sich aufrichtete, strömte Wasser über ihre Schultern und den Bauch hinunter. Ihre Füße pochten. Blut färbte das Wasser rot, verwirbelte sich und wurde von den strudelnden Wellen davongetragen.
»Oh, bitte, komm zurück!«, rief die Espe, jetzt wieder mit ihrer Kleinmädchenstimme.
Cassie stemmte sich gegen die tosenden Wellen und hob einen Fuß an. Sofort wurde er von einem Strudel gepackt. Mit aller Kraft setzte sie ihn wieder auf den Boden und klemmte ihn zwischen die Steine. Sie hob den anderen Fuß. Der schwere, nasse Rock klatschte ihr gegen die Beine. Das Wasser wurde tiefer. Sie hob die Arme. Die Kälte griff mit nassen Fingern nach ihrem Bauch. Sie schnappte nach Luft.
Endlich hatte sie die Mitte des Flusses erreicht. Die Lippen entschlossen zusammengepresst, den Blick über die Wölbung ihres Bauches fest auf ihre Füße geheftet, watete Cassie weiter. Flussabwärts. Drüben am Ufer liefen die Espe und Großvater Wald neben ihr her und beschworen sie unentwegt zurückzukommen. Nach einer Weile hörten ihre Füße auf zu bluten. Lachse schossen wie silberne Pfeile durch das glasklare Wasser. Sie konnte nur hoffen, dass Großvater Wald keine freundschaftlichen Beziehungen zu ihrem Munaqsri pflegte. Wie lange würde es dauern, bis auch der Fluss ihr Feind war?
Plötzlich wurde es still am Ufer. Sie warf einen schnellen Blick hinüber. Weder Großvater Wald noch die Espe waren zu sehen. Die Füße fest zwischen den Steinen verankert, den Körper gegen die Strömung gestemmt, die von hinten gegen sie drückte, ließ Cassie ihren Blick über die Bäume wandern. War das nur Einbildung, oder beobachtete der Wald sie tatsächlich? Sie brachte ein grimmiges Lächeln zustande.
Dann bahnte sie sich ihren Weg zu einem großen Stein in der Mitte
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