Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
wirbelte wie von Sinnen im Zimmer umher, zerkratzte das Holz der Wände, zerfetzte Blätter. Cassie legte den Hebel der Spüle um. »Der Wasserhahn ist verstopft!«
»Dann reparier ihn!«, schrie Großvater Wald.
Cassie öffnete das Schränkchen unter dem Ausguss und hockte sich davor. Den Wasserhahn hatte sie mit einem Stopfen verschlossen, um zu verhindern, dass er tröpfelte, doch das wahre Problem mit den Rohren bestand hier unten. Sie würde sie nicht reparieren, nicht nach all der Mühe, die sie sich gegeben hatte, um sie kaputt zu machen. Dieses eine Mal würde Großvater Walds Vorliebe für menschengemachte Dinge zu ihrem Vorteil ausschlagen. Liebevoll tätschelte sie die Putzmittel. »Sieht nicht gut aus«, sagte sie laut und zog sich am Waschtisch hoch. »Ich versuche es im Badezimmer.«
»Beeil dich!« Sie konnte seine Stimme kaum noch hören in all dem Gekreische, das die Espe veranstaltete. Für einen Baum war ihre Lungenkapazität ziemlich beeindruckend. Cassie hielt sich die Ohren zu und watschelte schwerfällig ins Bad.
»Auch nichts!«, rief sie einige Augenblicke später. »Die Quelle muss versiegt sein!« Sie kam in die Küche zurück.
Großvater Wald war den Tränen nahe. »Sie braucht ihren Tee!«
Cassie nahm einen Krug vom Regal. Jetzt kam der letzte Schritt. Sie murmelte ein stilles Gebet. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Dann sagte sie: »Ich könnte etwas Wasser holen. Wo ist ein Bach?«
»Eine Viertelmeile nördlich von hier.« Er deutete mit dem Finger in die genannte Richtung. »Geh!«
Und Cassie ging.
Die Bäume hielten sie nicht auf.
Kapitel Sechsundzwanzig
Geografische Breite: 63° 55 ' 02 " N
Geografische Länge: 125° 24 ' 08 " W
Höhe: 395 m
Den Krug fest gegen ihre Brust gepresst, rannte Cassie und rannte. Ein Teppich aus weichen Nadeln dämpfte ihre Schritte. Sie atmete schwer. Ihre Ohren dröhnten. Das Baby trat mit seinen kleinen Füßchen von innen gegen ihren Bauch, als würde es mitrennen. »Schön da drin bleiben«, keuchte Cassie. »Wir schaffen es. Bleib nur schön da drin.« Die Bänder dehnten sich, während ihr Bauch auf und ab hüpfte.
Dann hörte sie den Fluss. Er gurgelte wie ein Ertrinkender.
Cassie sprang über eine Wurzel und landete auf weichem Federmoos. Ihre Füße rutschten weg. Haltsuchend grapschte sie nach einem Ast, bekam einen zwischen die Finger und hielt sich fest. Dann erst fiel ihr ein, dass es ein Feind sein könnte. Blitzschnell ließ sie ihn wieder los, und er schnippte zurück.
Je näher sie dem Fluss kam, desto weicher wurde der Untergrund. Cassie sank immer tiefer ein. Schlamm saugte an ihren Füßen und verlangsamte ihren Schritt. Endlich konnte sie den Wasserlauf erkennen. Oh nein! Er war viel zu schmal! Dort würde sie nicht sicher sein. In diesem Flüsschen konnte Großvater Wald sie immer noch erreichen. Balsampappeln und Erlen neigten sich weit übers Wasser, Farne und Schachtelhalme wucherten hinein. Cassie bahnte sich ihren Weg hindurch und platschte ins Wasser.
Weiter und weiter lief sie mit nackten Füßen auf nassen Steinen durch den Bach. Sie bohrten sich schmerzhaft in ihre Fußsohlen, und Cassie biss die Zähne zusammen. Winzige Stromschnellen umspülten ihre Zehen. Bitte, lass ihn in einen Fluss münden!
Ein Farnwedel rollte sich auf. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen. Er weiß Bescheid. Büsche raschelten, Schachtelhalme schlugen gegen ihre Knöchel. Zweige streckten sich und kratzten über ihre Haut. Wie konnte er es so schnell erfahren haben?
Oben in den Baumwipfeln hörte sie rote Eichhörnchen keckern – Spione.
Bäume schwenkten dünne Äste hin und her wie Tintenfischtentakel. Sie trat sie weg und stieß sich den Zeh an einem Stein an. Stöhnend verlangsamte sie ihren Schritt. Zweige verhakten sich in ihren Haaren. Das hier war ihre einzige Chance. Sie musste es jetzt schaffen, sonst war alles vorbei. Mit aller Kraft riss sie sich los. Ganze Büschel von Haaren blieben in den Zweigen hängen, während sie weiter flussabwärts platschte.
Schatten fielen auf den Bach. Cassie blickte nach oben und sah, wie Äste und Zweige sich zu einem Netz verflochten. Sie warf den Krug gegen den Baum, der zurückwich. Sie duckte sich darunter durch. Ihr Rock verhakte sich in einem Weidendickicht. Sie hörte den Stoff reißen.
»Kleine Mutter, warte!« Wild die Arme schwenkend, sprintete das Baummädchen durch die Fichten auf sie zu. Und Großvater Wald war bestimmt gleich hinter ihr.
Ihren hüpfenden Bauch
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