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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Direktoren der Meinung, dass es sich mit ihren Insassen wie mit Eseln verhielt: Erst wenn sie schwitzen, arbeiten sie so richtig!
    Doch jetzt, endlich, waren Handwerker im Haus. Jetzt, endlich, sollte das Gebäude auf einen modernen Stand gebracht werden. Dachten die Mitarbeiter. Aber was genau wurde eigentlich modernisiert? Ein Mitarbeiter sprach einen Handwerker an: »Was tun Sie hier genau?«
    Â»Wir sichten die Lage. Wir geben ein Angebot ab.«
    Â»Wofür?«
    Â»Fürs Rausreißen der Wände. Hier sollen doch Großraumbüros entstehen.«
    Was auf den »neuesten Stand« gebracht werden sollte, war offenbar nicht das marode Gebäude, sondern die Sitzordnung. Ein paar Wochen später, als es ohnehin jeder wusste, setzte der Geschäftsführer zu einer Rede an. Er begann mit »moderner Kommunikation ohne Grenzen« und endete mit der Ankündigung des Großraums. Rudi Carrell sagte einmal: »Nachrichtensprecher fangen stets mit ›Guten Abend‹ an und brauchen dann 15 Minuten, um zu erklären, dass es kein guter Abend ist.« Redende Chefs auch!
    Â§ 7 Irrenhaus-Ordnung: Heizungen, Klimaanlagen und Gebäude-Isolierungen sind nur dann irrenhaustauglich, wenn sie sich aufs Wohlbefinden der Mitarbeiter so positiv auswirken wie der CO 2 -Ausstoß auf die Ozonschicht.
    Die Großraum-Idiotie
    Was die Legebatterie in der Hühnerhaltung ist, ist in der Mitarbeiterhaltung das Großraumbüro: eine enge Fläche, auf der man eine möglichst große Zahl von Einzelexemplaren kostengünstig zusammenpfercht. Jedes Aufkeimen von Individualität wird im Keim erstickt. Der Mitarbeiter ist Teilchen einer Masse.
    Ein Großraumbüro ist der idealste Ort der Welt, um Menschen von der Arbeit abzuhalten: Stimmen plappern, Flüche hallen, Stühle quietschen. Ein Handy dudelt gegen das Klirren der Kaffeebecher an. Mit dem ewigen »Schnipp-schnapp« ihres Nagelknipsers trennt eine Kollegin die Nerven ihrer Sitznachbarn durch. Und alle hören mit, wie der Einkäufer mit gequetschter Stimme zum dritten Mal ohne Erfolg versucht, seinen Zahnarzttermin doch noch in diese Woche zu legen.
    Im Großraum rasen die Gedanken durch den Kopf wie ein außer Kontrolle geratenes Jahrmarktkarussell. Brillante Einfälle sind ebenso unwahrscheinlich wie ungestörte Telefonate. Dauernd muss man dem Kunden erklären: »Nein, ich stehe nicht im Zoo vorm Elefantengehege! Was im Hintergrund trompetet? Ein Kollege, der sich die Nase putzt! Affengeschnatter? Nein, das sind drei Kollegen, die es für intelligent halten, alle gleichzeitig zu reden.«
    Großraumbüros wirken sich auf die Produktivität der Mitarbeiter aus wie ein Ameisenbär auf einen Ameisenhaufen. Der Preis dafür, dass keiner mehr aus der Reihe tanzt, besteht darin, dass keiner mehr etwas auf die Reihe bekommt. Die Nobelpreisträger wissen schon, warum sie ihre Geniestreiche an einsamen Orten vollbringen: in Kellerlaboren und stillen Schreibkammern.
    Aber natürlich hat das Großraumbüro auch eine Lobby: die Grippeviren. Wenn einer erkältet ist, sollen alle etwas davon haben! Freudig springen die Viren von Tisch zu Tisch. Oft wird ihre Arbeit durch verordnetes Händeschütteln erleichtert. Oder durch eine Putzkolonne, deren Etat derart massakriert wurde, dass sie sich mit Türklinken nicht mehr aufhält. Immerhin eine Kurve steigt in solchen Firmen noch: die Fieberkurve.
    Großraumbüros sollen zweierlei erhöhen: den Profit der Unternehmen und die Kontrollierbarkeit der Mitarbeiter. Jedes Einzelbüro erfordert eine Einzelheizung, eine Einzelbeleuchtung, ein Einzelnamensschild. Dagegen lassen sich Dutzende Mitarbeiter in ein Großraumbüro quetschen, jeder auf die Fläche eines Bier­deckels. Weniger Heizkörper, weniger Deckenleuchten, weniger Kosten! Und zudem: weniger Individualität. Niemand kocht mehr sein eigenes Süpplein, alle essen aus demselben Topf.
    Auf den ersten Blick profitieren die Irrenhäuser. Für Privates bleibt den Mitarbeitern kein Raum mehr. Jeder Kuss, den einer ins Telefon hauchte, würde von zwei Dutzend Ohren aufgesaugt. Jede Seite, die einer im Internet aufriefe, machte dem Hintermann Stielaugen. Und wer bei seiner Rückkehr aus der Mittagspause erlebt, dass sich vor seinem Schreibtisch eine Horde drängt, um das kleine Foto seiner neuen Liebsten zu besichtigen und zu kommentieren, wird künftig nur

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