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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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noch unverdächtige Devotio­nalien aufstellen. Etwa ein Bild des Irrenhaus-Direktors.
    Doch im selben Maß, wie Motivation und Arbeitsfähigkeit in den Sinkflug gehen, nehmen die Arbeitszeiten zu. Wer es wagt, pünktlich um 17.00 Uhr die Firma zu verlassen, muss sich anhören: »Na, heute wieder mal einen halben Tag Urlaub?« Kollegen werden zu Blockwarten. Und ausgerechnet die heißen Burnout-Kandidaten, die im Großraumbüro campieren, geben den Arbeitsrhythmus der ganzen Truppe vor. Keiner will früh gehen, keiner spät kommen. Niemand lebt mehr seinen eigenen Rhythmus; alle unterwerfen sich dem Diktat der Gemeinschaft.
    Aber warum profitieren die Firmen dann am Ende doch nicht? Meist geht es wie bei dem Metallbauer in Ost-Berlin: Das Großraumbüro verlängerte die Arbeitszeiten – aber es schmälerte die Leistung. Sicher nahm die Kommunikation zu, aber die meisten Gespräche liefen so ab:
    Â»Runter!«, fordert Dieter.
    Anna antwortet: »Rauf!«
    Â»Runter, sage ich!«
    Â»Und rauf, sage ich!«
    Â»Ruuunter!«
    Â»Raaauf!«
    Natürlich ging es um die Temperatur der Heizung. Nahezu dieselbe Diskussion entbrannte über die Position der Jalousie. Die einen wollten Sonne im Raum, die anderen Schatten. Und tagelang wurde gestritten, ob Gabis Parfüm noch eine hochdosierte Geschmacksverirrung oder schon ein Gasangriff aufs ganze Büro war. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann diskutieren sie noch heute – statt effektiv zu arbeiten!
    Der Umweltpsychologe Gary Evans von der amerikanischen Cornell-Universität fand in einer Studie heraus: Der Körper schüttet im Großraumbüro doppelt so viele Stresshormone aus wie im Einzelbüro. 10 Rund um die Uhr sind die Mitarbeiter zum Kampf oder zur Flucht bereit. Sie fühlen sich eingeengt, ihnen fehlt das eigene Revier. Das Krankheitsrisiko steigt.
    Ãœber artgerechte Hühnerhaltung wird viel gesprochen. Wann kommt endlich das Thema »artgerechte Mitarbeiterhaltung« auf die Agenda?
    Â§ 8 Irrenhaus-Ordnung: Ein Großraumbüro sorgt dafür, dass Mitarbeiter nicht auf dumme Gedanken kommen. Zum Beispiel: effizient zu arbeiten!

Irrenhaus-Sprechstunde 4
    Betr.: Wie unser Arbeitsplatz
zum Müllplatz wurde
    Die Papierkörbe quollen über, Dreckspuren zeichneten den Fußboden, Papierschnipsel säumten den Flur: Dieses Bild erwartete jeden, der unsere Büroräume betrat. Früher war die Putzkolonne jeden Tag gekommen, jetzt schaute sie nur noch am Freitag vorbei. Wieder mal eine Etatkürzung!
    Aber war unseren Managern klar, was ihre Entscheidung bedeutete? Wollte sie uns und den Kunden einen Büro-Müllplatz zumuten?
    Meine penible Kollegin Jana knipste ein paar Beweisfotos, hängte sie einer freundlichen Mail an und schickte sie dem Geschäftsführer. Wenn er diese Zustände sähe, die Fußabdrücke auf dem Boden, die überquellenden Papierkörbe, das Konfetti rund um den Aktenvernichter – dann würde er seine Kürzung sicher zurücknehmen.
    Noch am selben Nachmittag stand der Geschäftsführer bei uns im Büro. Sein Kopf war so rot, als hätte er einen Nebenjob als Ampel angenommen. »Das darf doch nicht wahr sein!«, schimpfte er. »Hier sieht es ja aus wie in einer Bahnhofshalle!«
    Â»Das finden wir auch«, sagte Jana.
    Die Ampel schaltete auf Tiefrot: »Und wer hat für dieses Schlachtfeld gesorgt?«, brüllte er.
    Am liebsten hätten wir geantwortet: »Ihre Etatkürzung!« Aber er lieferte die Antwort selbst: »Sie haben dafür gesorgt! Bei Ihnen zu Hause halten Sie doch auch Ordnung. Warum hier nicht?«
    Â»Aber wenn es draußen nass ist, wird der Boden nun mal schmutzig«, sagte Jana. »Und Papierkörbe sind irgendwann voll.«
    Â»Man kann die Füße auch abtreten, bevor man reinkommt. Und außerdem: Es gibt ein Wundermittel gegen volle Papierkörbe – man kann sie leeren!«
    Er stürmte in das Büro unseres Abteilungsleiters, um ein Krisengespräch zu führen. Seither wird bei uns wieder täglich geputzt. Von uns, den Mitarbeitern! Wie Schüler zum Tafeldienst eingeteilt werden, sind bei uns pro Woche zwei Mitarbeiter als »Ordnungsdienst« gelistet. Ihre Aufgabe besteht dar­in, Papierkörbe zu leeren, Schnipsel einzusammeln und den gröbsten Schmutz von den Böden zu entfernen. Außer freitags. Dann kommt der

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