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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Meldungen, die eigentlich nichts zu vermelden haben, wispert um den Planteten. Die moderne Welt dreht sich nicht mehr um die eigene Achse, sondern um das, was getwittert und gemailt, gepostet und gesimst wird. Tempo kommt vor Wahrheitsgehalt. Jeder Internetnutzer kann als Homepagebetreiber, als Leserreporter, als Mitglied eines Aktionärsforums zu allem seine Meinung sagen – auch zur Geschäftsentwicklung eines Unternehmens.
    Diese Öffentlichkeit lässt sich als gigantischer PR-Motor instrumentalisieren. Der Treibstoff, mit dem die Firmen ihn füttern, sind Ad-hoc-Meldungen und Quartalsberichte. Etwas heiße Luft, in die Welt hinausgepustet, kann Kursfeuerwerke entfachen. Ein Ski-Reporter jubelt, wenn ein nationaler Abfahrer mit der besten Zwischenzeit gestoppt wird. Und die Aktionäre jubeln, wenn die Quartalszahlen eines Unternehmens über den Erwartungen liegen.
    Ein Beispiel für diesen irrsinnigen Mechanismus: Im April 2010 meldete Daimler seine Quartalszahlen – und kündigte den Aktionären einen »Gewinn vor Steuern und Zinsen inklusive Sondereffekten« von 1,2 Milliarden Euro an. Diese Meldung überflügelte die Erwartungen. Die Analysten waren aus dem Häuschen, überboten sich mit Kaufempfehlungen. Dieser Tipp sauste in Schallgeschwindigkeit durch die multimediale Welt. Der Daimler-Aktienkurs hob ab. Um acht Prozent!
    Wie irrational diese Kursexplosion war, brachte Christof Schürmann, Kommentator der »WirtschaftsWoche«, auf den Punkt: Er sprach von »Quartalszahlen-Unsinn mit Methode« und nannte »es ein Rätsel, warum irgendjemand bereit war, acht Prozent mehr für eine Daimler-Aktie zu zahlen als am Vortag. Denn die Motorenkünstler aus Stuttgart hatten es gerade mal geschafft, eine halbe DIN-A4-Seite mit ein paar Zahlen unters Anlegervolk zu bringen. Gemessen am echten Quartalsbericht, den es erst morgen geben wird, drückte Daimler nur ein dünnes PS aus einem Sechszylinder.« 31
    Ebenso gab sich der Börsenfachmann skeptisch, ob der Gewinnsprung nicht nur ein Täuschungsmanöver war: »Vielleicht hat Daimler ein bisschen an den internen Zinsfüßen gedreht und so Papiergewinne aus Pensionen etwa in den Ertrag gepackt. Oder vielleicht auch nur den Forschungs- und Entwicklungsaufwand aufgehübscht. Ein paar Hundert Millionen Gewinn sind da schnell beisammen.«
    Eine gute Zwischenzeit kann ankündigen, dass einer als Erster ins Ziel kommt – oder das Gegenteil, falls sie von einer zu schnellen Fahrt, einem zu hohen Risiko und einem drohenden Sturz zeugt. Oder von einer realen Zeit, die so miserabel war, dass man die Stoppuhr manipulieren musste.
    Nach allem, was ich von meinen Klienten gehört habe, erlaube ich mir die Behauptung: Der Wahrheitsgehalt etlicher Quartalsberichte gleicht dem Alkoholgehalt von Schnaps; mit 40 Prozent ist man gut bedient. Die restlichen 60 Prozent bestehen aus PR und Halbwahrheiten.
    §27 Irrenhaus-Ordnung: Quartalszahlen sind wie Mofas: Wer sie nicht frisiert, wird abgehängt.
    Das Fusionsfieber steigt
    Wenn zwei Autos zusammenstoßen, nennt man das Unfall. Wenn zwei Firmen zusammenkrachen, heißt das Fusion. Nicht selten kommt es dabei zu einem Totalschaden. Was vorher intakt war, liegt danach im Straßengraben. Eine Studie der Bank Morgan Stanley hat ergeben: Sieben von zehn Fusionen scheitern. 32
    Aber um solche Details kümmern sich die Irrenhaus-Direktoren nicht, wenn sie die Chance wittern, einen neuen Spielplatz für ihren Größenwahn zu eröffnen.
    Der Widerspruch ist offensichtlich: Auf der einen Seite sind die Unternehmen vom Schlankheitswahn befallen und bauen ihre Mitarbeiter wie überflüssige Pfunde ab. Auf der anderen Seite stopfen sie sich bei Fusionen so viele Firmen und Beteiligungen in den Rachen, bis sie fett wie eine Würgeschlange nach dem Fressen einer großen Beute sind. Wie passt das zusammen?
    Irrenhaus-Direktoren haben für alles eine Erklärung, natürlich auch hierfür: In Wirklichkeit fusionieren sie angeblich nicht , um mehr Mitarbeiter, mehr Maschinen, mehr Grundbesitz und vor allem mehr gefühlte Wichtigkeit zu erlangen. Vielmehr verkaufen sie die Fusion als einen besonders raffinierten, wenn auch um die Ecke gedachten Diätweg.
    Das ist so, als würde ein Übergewichtiger sich mit Sahnetorten vollstopfen, bis der Zeiger der Waage rotiert – um dann einen winzigen Teil des zusätzlichen Gewichtes abzubauen und diesen Vorgang als »Erfolgsdiät« zu verkaufen.
    Die Diät-Behauptung basiert auf der These: Wenn sich zwei Firmen

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