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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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derselben Art vereinigen, stehen plötzlich zwei Buchhaltungen, zwei Marketingabteilungen, zwei Vertriebe und natürlich auch zwei Geschäftsführungen auf der Gehaltsliste. Wer vorher als Insasse ein Unikat war, wird plötzlich zum Zwilling – und damit ein Idealkandidat für die Planierraupe des Personalabbaus.
    Die Irrenhaus-Direktoren warten eine kurze Schamfrist ab, ehe sie das Spielchen »Und-raus-bist-du« beginnen. Nach Kriterien, die keiner nachvollziehen kann und soll, kegeln sie die einen Mitarbeiter vor die Tür und gewähren den anderen eine Galgenfrist. Diese Säuberungsaktion lässt die Aktionäre jubilieren, aber sie macht die verbleibenden Mitarbeiter zu Kaninchen vor der Schlange, wirkt lähmend auf sie.
    Eine Studie kam zu dem Ergebnis: Ein Drittel der Mitarbeiter senkt sein Engagement, wenn entlassen wird. Jeder zweite empfindet die Zusammenarbeit mit den Kollegen als schlecht. Und wenn es zu Lohnkürzungen kommt, schalten 45 Prozent der Insassen sogar ihre Leistung in einen kleineren Gang. 33
    Aber was kümmert das den Irrenhaus-Direktor? Ihm geht es um messbare Effekte. Zum Beispiel kann er behaupten: »In meiner Ära fand eine Fusion statt. Dadurch haben wir 15 Prozent Marktanteil gewonnen. Und gleichzeitig ist es uns gelungen, durch Rationalisierung in den folgenden drei Jahren 750 Arbeitsplätze abzubauen.« Vom Motivationsabbau spricht er vorsichtshalber nicht. Und auch nicht davon, dass die Zahl der Mitarbeiter unterm Strich um 3000 gestiegen ist.
    Das Wort »Rationalisierung« ist ein Witz: Was, bitte schön, ist rational an einem Zickzack-Kurs zwischen Völlerei und Diät? Unterm Strich sind Fusionen meist Zuschussgeschäfte – auch weil Firmen, die zum Verkauf stehen, meist keine Goldgruben sind (wie versprochen und erhofft), sondern Jauchegruben, die vor der Fusion aufgehübscht werden und deren Fäulnisgeruch der Insolvenz mühsam überdeckt wird.
    Der wahre Geruch steigt den Irrenhaus-Direktoren erst dann in die Nase, wenn sie die Firma betreten und das Schlamassel aus der Nähe sehen – aber dann ist die Entscheidung gefallen und der Rückweg verbaut.
    §28 Irrenhaus-Ordnung: Ein Unternehmen kann besser werden. Oder fusionieren.
    Was will Daimler mit Waschmaschinen?
    Welches Motiv speist den Fusionswahn der Irrenhaus-Direktoren? Sie wollen Geschichte schreiben, neue Epochen einläuten, ein ganz großes Rad drehen. Ihr persönlicher Geltungsdrang ist größer als ihr Verstand. Wie sich ein Frauenheld mit der Zahl seiner Eroberungen brüstet, so misst sich ein Irrenhaus-Direktor an der Zahl seiner Insassen. Wer eine Anstalt mit 2000 Leuten leitet, ist 50 Mal wichtiger als einer, der es nur auf 1950 Mitarbeiter bringt. Solche Rechnungen gehorchen nicht der Mathematik, sondern der Eitelkeit.
    Die Zahl der Fusionsunfälle, die von den Medien im Detail aufgenommen wurden, könnte ein dickes Buch füllen. Exemplarisch sei der Schach- bzw. Schwachzug der Firma Daimler genannt. Im Mai 1998 überschritt der Konzern lockeren Fußes die Grenze zwischen Größe und Größenwahn – und fusionierte mit der amerikanischen Firma Chrysler. Zwar war bekannt, dass der US-Konzern bis über beide Ohren in Schwierigkeiten steckte. Aber Jürgen Schrempp, Irrenhaus-Direktor in Stuttgart, verschlang den flügellahmen Wettbewerber mit einer Gier, als wäre es der hübscheste Vogel am Himmel der Autoindustrie. Vollmundig rief er sich als Direktor einer »Welt AG« aus. 34
    Das Fusionsfieber zog sich lange hin und brachte die typischen Symptome mit sich: Die Kosten schossen nach oben, der Ertrag stürzte ab. Im Jahr 2002 war ein Tiefpunkt erreicht: Chrysler fuhr 5,3 Milliarden Euro Miese ein. Die »Welt AG« musste insgesamt einen Verlust von 662 Millionen verbuchen – während Daimler in der Zeit vor der Fusion zuverlässig hohe Milliardengewinne erwirtschaftet hatte.
    Doch Jürgen Schrempp hielt sich an der Fusion wie an einem Rettungsring fest – bis er am 28. Juli 2006 das Feld räumen musste. Wenig später wurde dann auch sein Baby gekillt, die unglückliche Fusions-Ehe aufgelöst. Schrempps Abenteuer gilt unter Branchenkennern als »eine der größten Wertvernichtungen, die sich ein Manager je geleistet hat«. 35 Allein von 1998 bis 2007 hatte die Aktie des Unternehmens 40 Milliarden Euro an Wert verloren.
    »Unbelehrbarkeit« – unter dieser Überschrift laufen die meisten Fusionen, so auch Schrempps Verirrung. Sonst hätte er wohl keine Großfusion gesucht, nachdem sich schon sein

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