Ich beschütze dich
sicher. Ich durchstöbere ein paar Plattenstapel und krame auf dem Regal herum, bevor ich das Album finde und ihr gebe. Kirwin sieht es sich an, wendet es, legt es hin und kritzelt etwas in ihr Notizbuch. Als Album bedeutet es ihr nichts, aber vielleicht als Beweisstück? Es ist voll von Jez’ Fingerabdrücken. Ich frage mich, ob sie es mitnehmen wird, denn wenn sie das tut, werden die Forensiker ihre Freude haben.
Warum habe ich nicht gesagt, er wäre hier gewesen und hätte das Album abgeholt?
Ich hätte sagen können: Ja, er war hier, ich habe es ihm gegeben, und er ist gegangen. In solchen Situationen kann man nicht schnell denken. Aber wenn sie das Musikzimmer trotzdem durchsucht und die Platte gefunden hätte? Mir ist bewusst, in welcher brenzligen Lage ich mich befinde. Die einfachsten Sachen können einen auffliegen lassen. Seit Greg und Kit nach Hause gekommen sind, habe ich alle Spuren von Jez’ Besuch beseitigt und mir solche Mühe gegeben, ihn in der Garage zu verstecken, aber das Musikzimmer ist noch von seinen Fingerabdrücken übersät.
Die Polizistin dreht das Album wieder und wieder in den Händen. Ich warte nur darauf, dass alles über mir zusammenbricht. Ich bin bereit aufzugeben und den anderen das Ruder zu überlassen. Wenn sie mich festnehmen, weil ich einen Jungen gegen seinen Willen eingesperrt habe – und sie werden zweifellos davon ausgehen, dass es gegen seinen Willen passiert ist –, haben die Anspannung, die Angst und das Gefühlschaos der letzten Tage ein Ende. Dieser Gedanke packt mein Herz und zerquetscht es. Ich könnte es nicht ertragen, Jez nach allem, was wir durchgemacht haben, zu verlieren. Ich brauche mehr Zeit. Ich muss ihn gesund pflegen und sein Vertrauen zurückgewinnen. Wie schwer es auch für uns war, ich darf ihn nicht verlieren. Es darf sich nicht einfach alles in Rauch auflösen.
»Danke«, sagt sie und gibt mir das Album zurück. »Er war also gar nicht hier?«
Bei dieser Frage mustert sie mich. Ihre unnatürlich blauen Augen blitzen auf. Ich schüttle den Kopf.
»Und Sie haben ihn auch nicht gesehen, draußen am Fluss, in einem Pub oder woanders? Wie er aussieht, wissen Sie ja, oder?«
»Ja, sicher.« Meine Stimme klingt plötzlich laut und schrill. »Kit hat ja schon erzählt, dass ich mit seiner Tante befreundet bin. Ich habe ihn gesehen, aber nicht in letzter Zeit. Seit unsere Kinder erwachsen sind, sehe ich Helen nicht mehr oft.«
»Er hat anscheinend an den Flussmauern etwas Freerunning gemacht«, sagt sie. »Sie wissen schon, von Brücken springen, Anlegerstege rauf- und runterklettern, solche Sachen. Sie erinnern sich nicht, ihn vor gut einer Woche da unten gesehen zu haben? Nichts, was uns weiterhelfen könnte?«
Ich beschließe, kurz darüber nachzudenken. Sie hat keinen Verdacht! Ich möchte reden und lachen und mich lang über diesen Jungen und seine außergewöhnlichen Talente auslassen.
»Das letzte Mal habe ich ihn gesehen … Ach, das muss jetzt ein Jahr her sein, vielleicht auch zwei, als er unten in der Nähe vom Pub mit seinen Cousins die Wände hochgeklettert ist. Ich weiß noch, dass seine Tante deswegen fast ausgerastet ist. ›Jungs!‹, hat sie immer wieder gesagt, und ich war froh, dass ich mich nicht mit welchen herumschlagen muss. Nur mit einer Tochter. Ich sollte mich glücklich schätzen.«
»Also nicht in letzter Zeit? Sie haben ihn nicht vor Kurzem zufällig hier in der Nähe gesehen?«
»Vor Kurzem? Ich glaube nicht. Nicht, dass es mir aufgefallen wäre.« Ich merke, dass ich vor Erleichterung losplappere, und versuche, ruhiger zu reden. »Ich bin meistens hier. Ich arbeite zu Hause, also wäre es mir wahrscheinlich aufgefallen.«
Sie schreibt etwas auf.
»Sie sagen, Sie haben den Fluss abgesucht?«, frage ich, obwohl ich das schon von Sheila gestern am Anleger weiß, aus der Zeitung und von Helen.
»Ja. Aber wir suchen weiter«, sagt sie. »Danke für Ihre Hilfe. Gehen wir wieder zu den anderen. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen über die Tante stellen. Helen Whitehorn. Wie gut Sie sie kennen, solche Dinge.«
Mein Herz hämmert wieder los. Es ist noch nicht vorbei. Ich folge ihr nach unten. Sie hat muskulöse Waden, denen die hautfarbene Strumpfhose, die sie wahrscheinlich wegen der Kleiderordnung tragen muss, nicht gerade schmeichelt.
»Haben Sie schon irgendeine Theorie?«, fragt Greg gerade den jungen Constable. Er kann kaum älter als Kit sein. Meine Güte, er hat sogar noch Pickel. Akne, der arme Junge.
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