Ich bin an deiner Seite

mobil sein. Sie konnten ihr Leben leben. Während Khan ihnen erklärt hatte, wie man die Krücken benutzte, war Mattie mit Holly in einen nahe gelegenen Laden gegangen. Dort hatten sie ihr Geld zusammengelegt und zwei Angeln gekauft. Die Jungen hätten nicht überraschter sein können, ein solches Geschenk zu erhalten.
    Jetzt, während Khan die Berge hinauffuhr, lagen nur noch drei Paar Krücken hinten im Wagen. Mattie konnte kaum glauben, dass es in dem wunderschönen Wald um sie herum Bomben gab. Sie hatte Khan gefragt, wo die Bomben waren, und von Zeit zu Zeit hatte er die Augen zusammengekniffen und auf Krater in der Landschaft gedeutet. Einige von ihnen waren alt und mit Grün bedeckt. Allein hätte Mattie niemals diese Pickel in der Erde entdeckt, von denen die meisten mit Wasser gefüllt waren und wie kleine runde Seen aussahen. Aber andere Krater waren offensichtlich jünger. Khan erzählte ihr, dass das Gebiet um Dalat vor langer Zeit von Sprengkörpern geräumt worden war, aber dass in der Wildnis noch unzählige Bomben verteilt lagen.
    Mattie wusste, dass die Vietnamesen an Geister glaubten, und während sie in den Wald sah, fragte sie sich, ob die Toten immer noch darin wohnten. Sie war nicht sicher, was sie glauben sollte. Die Berge waren so wunderschön und sattgrün. Sie hatte noch nie so viel Grün gesehen, und die Felder und Täler, Flüsse und Wasserfälle waren doch sicher Orte, wo das Leben blühte. Doch genau diese Orte hatten Krieg gesehen, und obwohl Mattie nicht viel über Krieg wusste, war sie sicher, dass jemand zwischen den Welten stecken bleiben konnte, wenn er so plötzlich und schmerzhaft starb. Ihre Mutter, das wusste sie, hatte Zeit gehabt, ihren Tod zu planen, ihn zu verstehen. Und ihre Mutter hatte keine Angst gehabt. Sie hatte Mattie das oft gesagt, und Mattie hatte ihr geglaubt. Aber in einem Wald zu sterben mit Explosionen und Schmerz und Trauer musste schwerer sein als das, was ihre Mutter durchgemacht hatte.
    Mattie holte ihren Skizzenblock heraus und zeichnete die Berge und die Kiefern mit einem Bleistift und füllte sie dann mit Grün. Sie zeichnete keine Geister, fügte jedoch Fußabdrücke unten auf ihrem Bild hinzu, so als wäre jemand durch den Wald gegangen. Obwohl sie nicht sicher war, warum sie die Fußabdrücke eingefügt hatte, fühlte es sich richtig an, sie in ihr Bild zu malen. Der Wald war nicht immer so leer gewesen. Und ihn leer wirken zu lassen fühlte sich falsch an – sowohl wegen der Leute, die darin gestorben waren, als auch weil sie glaubte, dass ihre Mutter nicht fort war.
    Dalat tauchte vor ihrem Fenster auf, als sie einen Gipfel erreichten. Der Transporter fuhr wieder herunter, und die Stadt verschwand, tauchte erst ein paar Minuten später wieder auf. Ein Fluss floss neben der Straße, sprudelte über Felsen, fiel gerade über eine Klippe hinunter in einer massiven Explosion von Kraft und Lautstärke. Die Luft war kühler in seiner Gegenwart, und sie atmete tief ein, sog die Feuchtigkeit in ihre Lungen.
    Umgeben von grünen Bergen sah Dalat ganz anders aus als die anderen vietnamesischen Städte, die Mattie bisher besucht hatte. Obwohl die Architektur ähnlich war – mit einer Mischung aus weißen dreistöckigen Häusern, aus denen der Stadtkern bestand – schienen die nahe gelegenen Wälder die Betonbauten zu dominieren. Seen, Flüsse und Kiefern waren ebenfalls ein integraler Bestandteil von Dalat und schufen viele grüne Häfen.
    Sie fuhren zu einem Hotel, das Ian vorab für sie gebucht hatte. Die vier Reisenden holten ihr Gepäck aus dem Transporter, bedankten sich bei Khan und checkten ein. Da es schon Nachmittag war und alle müde von der langen Reise waren, zogen sie sich in ihre beiden Zimmer zurück, die sich auf dem Flur gegenüberlagen. Während Ian und Mattie Bruchrechnen übten, lernte Holly Mandarin, und Georgia nahm ein Bad. Draußen vor ihrem Hotel hupten Motorroller. Rote Flaggen flatterten, und uniformierte Kinder gingen von der Schule nach Hause.
    Ian duschte, rasierte sich und zog ein weißes Hemd und seinen neuen olivgrünen Kaschmiranzug an. Er steckte sich die drei Glasketten in die Tasche. Während Mattie sich umzog, blickte er aus dem Fenster und dachte an Kate, wie sehr er es bereute, sie für selbstverständlich gehalten zu haben. Er hofft, dass sie ihm das, wo immer sie war, vergab.
    Kurz darauf trat Mattie in ihrem neuen Kleid aus dem Bad und sah für Ian aus wie die Reinkarnation von allem Schönen auf der Welt. Er