Ich bin dann mal alt
viel zu schnell. Dann geraten wir in den Zustand des »Jetlag« und können nur schwer mit Leib und Seele in Einklang sein. Deshalb ist es gut, immer wieder einen kurzen Augenblick der Stille einzulegen, damit wir uns wieder selbst wahrnehmen können. Wenn Leib und Seele getrennt sind, dann liefern wir uns den ständig wechselnden Gedanken, Worten und Bildern aus, die uns mit hoher Geschwindigkeit umschwirren. Doch die Hingabe des Herzens, die wir erfahren und erahnen wollen, kann nur geschehen, wenn wir in uns selbst still werden. Die Stille hilft, dass sich Herz und Mund, Gedanken, Leib und Seele in einem Rhythmus vereinen, der dem Menschen guttut.
Spannung und Entspannung auch im Alter
Bei uns war eigentlich jeder Tag gleich – und trotzdem war es nicht langweilig.
Lindenwirtin Josefine Wagner
Mit Spannung und Entspannung verhält es sich ähnlich wie mit Ruhe und Bewegung: Der Mensch braucht beides. Ohne jede Spannung wäre das Leben langweilig – nur im Tod hat sich alle Spannung gelöst.
Ein durchgängiger Ton ohne Auf und Ab, ohne Takt und ohne Rhythmus ist keine Musik. Anspannung – auch wenn sie im Alter nachlässt – ist notwendig, weil sie Menschen und Dinge zum Klingen bringt. Wer sich nach dem Berufsleben nur noch zurücklehnt und träge betrachtet, was um ihn herum passiert, wird daran nicht lange Freude haben. Viele ordnen die Spannung der aktiven Zeit, dem Arbeitsleben, zu und meinen, dass mit dem Renteneintritt die Phase der Entspannung beginnt. Ein Irrtum. Spannung und Entspannung gehören zum gesamten Leben.
Im Alter kommt die Spannung durch körperliche Bewegung, aber auch durch Pläne, die man hat, oder wenn man bestimmte Aufgaben übernimmt, in der Familie, in Vereinen, im Garten. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich auch im Alter sinnvoll zu engagieren. Natürlich darf man dabei den Spannungsbogen nicht überdehnen – das tut weder dem Körper noch der Seele gut. Viele ältere Menschen neigen allerdings zu der Meinung, man solle sie gefälligst in Ruhe lassen, weil sie sich im Leben ja schon genug geplagt haben. Doch so eine Einstellung ist in den meisten Fällen falsch, weil sie vor allem die geistig-seelische Spannkraft lähmt. Es ist gescheiter, sich auch als alter Mensch mit geistigen Dingen zu beschäftigen, um seine Spannkraft nicht zu verlieren.
Selbst früheren oder aktuellen Konflikten muss man nicht aus dem Weg gehen: Da ist der Streit mit den Geschwistern vor 30 Jahren, über den man nachdenkt, da sind die gegenwärtigen Probleme mit Kindern, Enkelkindern oder Freunden. Vielleicht schenkt gerade das fortgeschrittene Alter jene Gelassenheit, die zur Lösung eines Konflikts erforderlich ist.
Permanente Spannung wirkt jedoch ebenso zerstörerisch wie dauernde Entspannung. Deshalb ist es wichtig, ein Gespür dafür zu entwickeln, ob die beiden Zustände in einem guten Rhythmus zueinander stehen. Man darf den Bogen nicht überspannen, sonst zerbricht er. Wer als alter Mensch dauernd »unter Strom« steht und sich nicht mehr entspannen kann, schadet seinem Körper und seiner Seele. Solche Dauerbelastungen haben sogar gesundheitliche Folgen.
Andererseits ist auch dauernde Entspannung kein Idealzustand. Es droht eine Trägheit, die genauso gefährlich ist wie die übermäßige Anspannung. Ein »pflegeleichtes« Leben wird früher oder später eintönig. Um der Langeweile zu entrinnen, suchen viele ihre Anspannung oft in merkwürdigen Aktivitäten. Das kann so weit führen, dass sie sich ständig Horrorfilme im Fernsehen oder im Kino ansehen.
Im Zustand der Entspannung drückt sich auch innerer Friede aus, und der Mensch findet Ausgleich und Versöhnung mit sich selbst, aber auch mit anderen Menschen. Zwar lässt sich mit der Gelassenheit des Alters nicht jeder frühere Konflikt völlig lösen, doch es gibt wahrscheinlich immer die Möglichkeit, ihm die Spitze zu brechen. Unklug wäre es, das Problem einfach auf die Seite zu schieben und sich nicht mehr darum zu kümmern, denn es belastet einen im Unterbewusstsein weiter. Auf Friedhöfen sieht man oft alte Menschen, die an den Gräbern verstorbener Angehöriger oder Bekannter stehen und sich in der Rückschau gute oder auch schlechte Erinnerungen ins Gedächtnis rufen.
Diese stille Betrachtung der Vergangenheit kann wie eine innere Entspannung wirken, die scheinbar versteinerte Konflikte in friedlicher Versöhnung auflöst.
Auch ältere Menschen sollten sich ihre Wachheit bewahren, denn sie ist der Impulsgeber für die sehr
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