Ich bin dann mal alt
vor der Bank. Aus seiner Lederjacke kramte der junge Mann ein Handy heraus und hielt es Hans vor die Nase. »Da schau«, sagte er stolz, »das habe ich mir heute gekauft.« Weil aber der Hans nicht gleich in einen Begeisterungssturm ausbrach, drückte der frischgebackene Handy-Besitzer auf ein paar Tasten – und auf einmal hörte man das Trällern einer Lerche. »Täusch dich aber nicht«, grinste er den Hans an, »der Vogel sitzt nicht auf einem Baum, sondern in meinem Handy. Das Zwitschern habe ich nämlich als Klingelton einprogrammiert.«
Der Hans lud den Nachbarsohn ein, er solle sich doch mit zu ihm auf die Bank setzen. »Dann kannst du die Lerche auch ohne Handy hören«, bot der Hans an. Aber der flotte Motorradfahrer winkte ab. »Keine Zeit«, erklärte er, »ich fahre wieder heim und surfe lieber im Internet.« Er musterte Hans mitleidig. »Du solltest dir auch endlich einen Computer kaufen, sonst zieht die Welt sinnlos an dir vorbei«, sagte er. Der Hans erwiderte, so eine Bank sei doch auch nicht schlecht, weil das Leben ein bisschen langsamer werde. Er zeigte mit der rechten
Hand zur Wiese und zum Wald. »Ganz dahinten, das ist der Schneeberg«, sagte er. Aber darüber konnte der Nachbar nur lachen. »Im Internet«, erklärte er, »bin ich mit der ganzen Welt verbunden, sogar mit dem Himalaya, wenn ich will. Da ist dein Schneeberg ein Dreck dagegen!« Er ließ sein Motorrad wieder an und wandte sich noch einmal an den Hans: »Mit meiner Soundcard kann ich mir jeden Vogel der Welt aus dem Internet herausholen, sogar einen Papagei, wenn ich will …« Dann fuhr er mit Vollgas davon.
Der Hans saß auf seiner Bank und schaute dem Motorrad hinterher. Zum Glück war noch ein Schluck Bier im Krug. Als der Hans den Zinndeckel etwas zu laut zuklappte, hörte eine Lerche erschreckt für einen Moment auf zu singen, trällerte aber gleich wieder weiter. Und sein Dackel war im Schlaf auch schon wieder hinter einem Hasen her.
Die Beziehung zu sich selbst
Als wir meinen 100. Geburtstag gefeiert haben, war ich froh und glücklich – wie man das mit 100 eben sein kann. Ich bin zufrieden mit dem, was ist. Ich habe auch keinen Grund für Gram, der macht krank. Ich muss dankbar sein, dass ich jeden Tag aufstehen und arbeiten kann, ein bisschen wenigstens. Die Füße wollen nicht mehr so richtig. Wenn ich bis zum anderen Haus komme, ist das genug. Aber bald kommt der Frühling – und vielleicht geht es dann wieder besser.
Lindenwirtin Josefine Wagner
Achtsamkeit ist ein Grundprinzip des Lebens – das gilt auch für den eigenen Körper und die Seele. Vor allem der alte Mensch sollte sich aufgrund seiner Erfahrungen bewusst sein, dass er ein spirituelles Wesen ist, das zu sich selbst eine achtsame Beziehung braucht. Besonders wichtig dabei ist, dass er die Zusammenhänge wahrnimmt, die im Inneren geschehen. Die körperliche, seelische und geistige Ebene sind keine voneinander getrennten Welten, sondern stehen in enger Beziehung zueinander; was auf der einen Ebene geschieht, hat auch Folgen für die anderen beiden. Durch die Selbstwahrnehmung kann der Mensch viele dieser Zusammenhänge erkennen und daraus Hinweise für sein Leben erhalten. Zum Beispiel brauchen wir Menschen eine vernünftige Balance zwischen Selbstverachtung und Hypochondrie. Selbstmissachtung bedeutet: Ich bin nichts wert. Und der Hypochonder will nur um sich selbst kreisen oder immer im Mittelpunkt stehen. Dieses ständige Pendeln zwischen den beiden Extremen ist eine gefährliche Basis für die Selbstzerstörung.
Eine andere Verlockung, der wir häufig Beachtung schenken, ist unser Ego. Die Sorge um das eigene Ich wird dann zerstörend,
wenn wir sie zum Egoismus werden lassen. Dann will der Mensch alles besitzen und alles können – ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb ist es gut, die eigenen Grenzen zu beachten, denn damit stärkt man auch den Respekt vor sich selbst. Wer seine eigenen Grenzen nicht akzeptiert, missachtet seine Persönlichkeit. Das hat auch mit Stolz und Demut zu tun. Im Stolz kann sich niemals ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, sondern es entsteht eine Form von Überhöhung, die jede Selbstachtung zerstört.
Doch wie kann man sein »gesundes Selbst« entwickeln? Eine der Antworten liegt wahrscheinlich in der Regel des heiligen Benedikt: durch Hören und Wahrnehmen. Das wiederum ist nur möglich durch Schweigen und ruhiges Atmen. Darüber könnte man seitenlange Unterweisungen schreiben, aber viel gescheiter ist es,
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