Ich bin dann mal alt
wenn du es selbst versuchst: Setz dich einfach einmal hin – und höre und atme und schweige! Diese Form der Selbstbesinnung ist etwas anderes als Isolation. Zu bestimmten Zeiten allein bei sich zu sein, gehört zum richtigen Lebensrhythmus und schenkt dem Menschen Kraft.
Die sensible Wahrnehmung der Signale, die dein Körper, deine Seele und dein Geist aussenden, führt zu einer Achtsamkeit, die deinem Leben guttut. Niemand darf ein Krankheitssymptom einfach ignorieren, aber man muss auch nicht ständig wie ein Hypochonder in sich hineinlauschen und bei jedem »Geräusch« sofort zum Arzt rennen.
Wichtige Hinweise erhalten wir, wenn wir unsere eigenen Emotionen wahrnehmen. Wer dauernd mit seinen Ängsten um sich selbst kreist, macht sich genauso verrückt wie jemand, der seine immer wiederkehrenden Wutausbrüche hinnimmt, ohne jemals nach der Ursache zu suchen. Durch die Selbstwahrnehmung wird vielleicht der Weg frei, um das Problem, das hinter dieser überschäumenden Emotion steckt, zu lösen.
Es gibt kaum einen Menschen ohne Leidenschaften. Eifersucht, Geiz, Traurigkeit, Stolz, Hass, Zorn, Neid, Gier oder Habsucht treiben und quälen uns. Oft genug zerstören diese Kräfte und Gefühle unser harmonisches Gleichgewicht und machen uns krank. Davor bleibt auch im Alter niemand verschont. Zu allen Zeiten haben die Menschen versucht, Herr über ihre Leidenschaften zu werden. In der Gegenwart scheint dies besonders schwierig zu sein, weil die Gesellschaft Geld und Äußerlichkeiten überbewertet.
Verwandlung der Laster
Kluge Menschen wissen, dass niemand seine Leidenschaften einfach abtöten kann. Sie geben uns den Rat, dass wir versuchen sollten, diese Laster anzunehmen und sie in Freundschaften zu verwandeln. Leidenschaften haben stets ihren Ursprung in der Maßlosigkeit. Der Mensch produziert diese Laster selbst, indem er einen durchaus erstrebenswerten Zustand ins Übermaß steigert : Liebe wird dann zur Besessenheit, Selbstbewusstsein zu Stolz, Freude am Essen wird zur Völlerei, aus Gelassenheit entsteht Trägheit, Sparsamkeit wird zu Geiz, Freigebigkeit zu Verschwendung. Die Rückkehr zum »guten Maß« ist deshalb der Schlüssel, um sich zu befreien. Auch Tapferkeit, Klugheit und Gerechtigkeit gehören zu den Tugenden, mit denen der Mensch seine überzogenen Emotionen umwandeln kann. Warum nutzt zum Beispiel ein Mann die Energie, die in seinem plötzlichen Zornausbruch steckt, nicht sofort beim Holzhacken?
Den Umgang mit sich selbst sollte man schon von klein auf erlernen. Doch auch im Alter ist es dafür nicht zu spät; der Mensch muss sich nur für Transformationsprozesse öffnen. Aus der Physik und vom Leben wissen wir, dass man Energie umwandeln
kann. Wer sich dieser Erkenntnis verschließt, wird sich auch als alter Mensch selbst blockieren.
In jedem Menschen wirken Kräfte, mit denen er sein eigenes Leben wunderbar entfalten kann – oder zerstört. Die körperliche, seelische und geistige Weiterentwicklung ist möglich, wenn er sich mit den Versuchungen, die aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt aufsteigen, auseinandersetzt. Andernfalls ist die Gefahr groß, seelisch zu verhärten oder krank zu werden. Denn nicht die zerstörerischen Gedanken und Gefühle sind das Problem, sondern ob man sich von ihnen treiben und beherrschen lässt.
Unter älteren Menschen weitverbreitet ist heute ein Zustand, der geprägt ist von Lustlosigkeit, Melancholie, Überdruss und Langeweile. Wer davon betroffen ist, mag sein Leben und sich selbst nicht mehr. Seine Beziehungen zu sich selbst, zu anderen Menschen, zur Natur und zur Schöpfung sind zerschnitten. Gelähmt und widerwillig lebt er in den Tag hinein, von dem er eigentlich nichts mehr erwartet. So einen Menschen berührt fast nichts mehr, offenbar ist alles an ihm erkaltet. Dieser Zustand kann sogar zu einer verkehrten Gemütlichkeit führen; dann stehen dem Menschen vor lauter Gefühlsduselei und Melancholie dauernd die Tränen in den Augen. In so einem Fall droht die Gefahr, dass die Betroffenen ihr leeres, lustloses Leben mit Alkohol und anderen Drogen »bereichern«. Durch die Betäubung ihrer Sinne verschaffen sie sich für kurze Zeit Gefühle und Erlebnisse, die sie verloren haben: Glücksgefühle, intensive Farben, Töne und Bilder. Um aus diesem Teufelskreis herauszukommen, muss der erstarrte Mensch wieder lebendig werden. Das kann er erreichen, indem er die ehrliche Auseinandersetzung mit anderen, aber auch mit sich selbst regelrecht sucht.
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