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Ich bin dann mal alt

Ich bin dann mal alt

Titel: Ich bin dann mal alt
Autoren: Johannes Pausch , Gert Boehm
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konnten. Darunter mag tatsächlich auch manche Reise sein, die anregend wirkt und Freude bereitet. Doch meistens nimmt das Interesse am »Senioren-Tourismus« bald wieder ab, weil man Versäumtes nicht einfach im Alter nachholen kann.
    Zeitversetztes Herumreisen in der Welt ist kein Mittel, um ein kreatives Leben zu führen und mit sich selbst ins Reine zu kommen. Dazu braucht der Mensch Beziehungen, die er auch im Alter
aufbauen kann, falls er sie verloren hat. Glück, Zufriedenheit und ein guter Lebensrhythmus entstehen, wenn man zu sich selbst, zu anderen Menschen, zur Natur und zur Schöpfung in Beziehung steht. Gerade im Alter spürt der Mensch, dass es ihm guttut, wenn er der Gesellschaft etwas zurückgibt, wenn er Verantwortung übernimmt, sich für andere engagiert und auf vielfältige Weise sein Erfahrungswissen anderen Menschen oder Institutionen zur Verfügung stellt, ohne in Cent und Euro entlohnt zu werden. Natürlich kann ein alter Mensch nicht mehr mit der gleichen Kraft und mit demselben hohen Tempo wie früher aktiv sein. Deshalb soll er die Aufgaben, die er übernimmt, in dem für ihn rechten Maß erledigen. So beugt er dem »Pensions-Schock« vor, den viele erleiden, wenn sie von einem Tag auf den anderen aus dem Beruf ausscheiden und in das berühmte Loch fallen.
    Das Heraustreten aus dem aktiven Leben darf nicht missverstanden werden mit einem Rückzug, der mit dem Zerschneiden aller früheren Beziehungen einhergeht. Dann führt Altwerden tatsächlich zur Teilnahmslosigkeit am Leben, in Gleichgültigkeit und in Isolation. Ein alter Mensch soll sich zwar nicht mehr abrackern, aber er muss in angemessener Weise aktiv im Lebensprozess und im Beziehungsgeflecht verbleiben. Dazu ist es wahrscheinlich sinnvoll, wenn man für sein Engagement nicht unbedingt Betätigungen aussucht, die eine hohe Mobilität und körperliche Beweglichkeit erfordern. Deshalb meditieren und beten alte Menschen häufig, das schenkt Vertrauen und befreit aus der Apathie. Die Gottesbeziehung schafft eine ganz neue Basis für die bewusste Gestaltung des Lebens. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist sogar bekannt, dass religiöse Menschen gesünder und länger leben, weil sie in guten Beziehungen verankert sind.

    Der Mensch und sein Kaktus
    Das Büro des intelligenten, jungen Mannes war ein nüchternes, kahles Zimmer – alles sehr cool. Den meisten Platz nahmen der Computer und der Fernsehapparat ein. Auf dem Fensterbrett stand ein Kaktus – dem Anschein nach das einzige lebende Wesen in diesem Zimmer. »Das ist mein Versuchskaktus. Ich habe ihn jetzt eineinhalb Jahre lang nicht mehr gegossen und möchte sehen, wie lange er das noch aushält«, klärte der junge Mann jeden auf, der das Gespräch auf den Kaktus brachte. Die meisten Besucher waren bestürzt über so viel Kaltherzigkeit.
    Leider findet man diese Gefühlskälte bei vielen Menschen, auch wenn sie ihnen selbst nicht bewusst ist. Sie pflegen ihre Blumen und Pflanzen, ihre Katzen und Hunde oft mit großer Hingabe, aber mit sich selbst und mit anderen Menschen gehen sie um wie der junge Mann mit dem Kaktus. Ein Kaktus mag es eineinhalb Jahre aushalten, nicht gegossen zu werden, vielleicht fühlt sich diese Wüstenpflanze dabei sogar noch wohl. Aber ein Mensch, der zum Versuchskaninchen gemacht und isoliert wird, hält es ohne Schaden nicht länger als ein paar Tage aus.
    Es ist schlimm genug, wenn so etwas aus Unachtsamkeit geschieht. Zur Katastrophe wird es, wenn ein Mensch bewusst so handelt oder behandelt wird. Wie dürr und leblos, wie vernachlässigt und misshandelt muss sich ein Mensch fühlen, der einen anderen zum Spielball seiner Gefühllosigkeit macht! Und hinter dem scheinbaren Interesse, »wie lange er es noch aushält«, steht wohl eher der verzweifelte Wunsch, dass sich jemand um den Kaktus-Besitzer selbst kümmern möge, auch wenn er in seiner Unberührbarkeit ärmer erscheint als seine Pflanze.

    Das Bild von diesem Mann und seinem Kaktus ist ein Symbol dafür, dass sich viele Menschen die wichtigste geistliche Nahrungsquelle vorenthalten, nämlich die Beziehung zu sich selbst und zu anderen, zur Natur und zur Schöpfung. Da stellt sich die Frage: Wie lange hält ein Mensch diese Beziehungslosigkeit aus?
    Eine Beziehung hat der junge Mann zwar zu dem Kaktus in seinem Büro, aber sie ist pervers. In einer scheinbaren Aufmerksamkeit gegenüber der Pflanze offenbart sich sein Sadismus : Er quält nicht nur den Kaktus, sondern auch sich selbst. Solche
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