Ich bin dann mal offline
lassen. In Wirklichkeit haben sich all diese Dinge so radikal schnell gewandelt, während wir noch nicht einmal die Hälfte unseres Berufslebens hinter uns gebracht haben. Wenn aber heute in unserem Beruf fast nichts so ist, wie es vor 15 Jahren war -wie gering ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass in weiteren 15 Jahren alles noch ungefähr so ist wie heute? Mit Sicherheit wird es noch Journalisten geben aber die Chance, dass sie noch genau so arbeiten werden wie heute, ist in etwa so groß wie die, dass wir alle wieder mit einem speckigen Oeckl in der Hand Telefonnummern nachblättern werden. Es sei denn, wir befinden uns in einem Offline-Selbstversuch -da ist bekanntlich jedes analoge Hilfsmittel recht. Schon heute kann ein Prominenter wie Ashton Kutcher mit seinen Tweets auf einen Schlag mehr Menschen erreichen als eine Ausgabe der FAZ, und ein erfolgreicher Blogger hat inzwischen eine größere Reichweite als manche Radio-oder Fernsehsendung. Immer weniger Menschen verlassen sich ausschließlich auf Redaktionen, die ihnen aus der endlosen Menge an Informationen und Ereignissen das Relevante heraus filtern sollen, sondern lassen sich durch Empfehlungen ihrer NetzwerkFreunde und Twitter-Kontakte eine individuelle Mischung aus Artikeln, Filmen, Links und anderen Informationshappen zusammenstellen.
»Mass Amateurization« nennt der Autor Clay Shirky, der an der New York University zum Thema
»Neue Medien« forscht, dieses Phänomen: Massen von Amateuren lösen plötzlich ein Problem, für das es vorher wenige ausgebildete und teure Spezialisten brauchte. So wie die Schreiber durch den Buchdruck ihre Stellung einbüßten, weil es plötzlich bessere und billigere Wege gab, Schriften zu vervielfältigen, so büßen derzeit Verlage ihre Vormachtstellung ein. Denn durch das Internet ist es für jedermann möglich und bezahlbar geworden, Dinge zu veröffentlichen. Dadurch habe sich, so Shirky, aber auch der Prozess des Filterns nach hin
ten verlagert: Früher, als Veröffentlichungen und Sendezeit teuer waren, wurde im Vorfeld genau ausgesiebt, welches Buch und welcher Artikel gedruckt, welche Idee verfilmt und welche Nachricht im Radio übermittelt wurde. Heute wird alles veröffentlicht, was auch nur eine einzige Person für interessant hält -weil es für diese Person nur wenige Augenblicke und noch weniger Cent kostet, das zu tun. Die Auswahl jedoch, das Filtern, verlagert sich auf einen späteren Zeitpunkt. Zum einen auf die »Schwarmintelligenz«, die durch Empfehlungen, Retweets, Verlinkungen und andere Mechanismen Interessantes und/oder Nützliches hervorhebt, sichtbarer macht und damit weiterverbreitet. Zum anderen durch den Empfänger selbst -der nicht mehr aus einer Handvoll Fernsehsender oder Tageszeitungen auswählen muss, sondern aus einer endlosen und beständig wachsenden Anzahl von Möglichkeiten. Dass sich viele Menschen davon überfordert fühlen, weiß Shirky, aber er will es nicht gelten lassen: »Es gibt keine >Informations überflutung«<, sagt der glatzköpfige 46-Jährige, wenn man ihn mit diesem Begriff konfrontiert. »Es gibt nur schlechte Filter.« Auch für Verleger, Journalisten und die anderen Berufsgruppen, die wie einst die Schreiber dafür bezahlt wurden, ein Problem zu lösen, das plötzlich viel einfacher geworden ist, hat er einen knackigen Satz parat: »Es ist keine Revolution, wenn niemand dabei verliert.«
Wahrscheinlich hat Shirky Recht -aber Armin und ich stellen zum Abschied fest, dass wir trotzdem nicht dabei sein wollen, wenn er diesen Satz auf einer Versammlung von Telekom-Angestellten, Mitarbeitern der Auskunft oder in einer Verlagskantine in ein Megafon spricht. Könnte böse enden. Tag 19 Zu Besuch bei den Amish
Es ist wie verhext. Schon seit Tagen versuche ich, den ehrenwerten Rabbiner Ehrenberg zu erreichen, um mit ihm über den Sabbat zu sprechen. Am Sabbat darf ein gläubiger Jude nämlich weder Telefon noch Computer benutzen. Ich habe vor meinem Selbstversuch im Internet seine Telefonnummer recherchiert, die ich seitdem beinahe jeden Tag zu unterschiedlichen Zeiten anrufe. Doch egal ob morgens um neun oder nachmittags um drei -es ist immer belegt. Einmal erdreiste ich mich sogar, mitten in der Nacht anzurufen, in dem Vorsatz, beim ersten Klingeln sofort aufzulegen. Doch selbst um Mitternacht bleibt die Leitung besetzt. Als ich mal wieder bei meinen alten Freunden von der Auskunft anrufe, geben sie mir eine andere Nummer, doch auch auf dieser scheint ein Fluch zu
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