Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
kleinen, für seine Verhältnisse winzigen Pendlerapartment in Boston und versuchte, sich auf den Bildschirm seines Laptops zu konzentrieren. Was nicht unbedingt einfach war, denn in seinem Kopf spann sich das Profil des Täters weit größer auf, als es der kleine Monitor darstellen konnte. Deshalb verwendete er in seinem Büro mittlerweile eine ganze Wand als Projektionsfläche, auf der er nach Belieben Zettel kleben, umsortieren und wieder entfernen konnte. Zu Hause durfte er eine solche Wand natürlich nicht einrichten. Er ärgerte sich nur ein wenig, dass Klara sich verspätete. Was zum einen daran lag, dass er hier mit seinem Monitor vorliebnehmen musste, und zum anderen, weil er sich schon sehr auf sie freute. Es war lange her, dass sie von sich aus vorgeschlagen hatte, das Wochenende in Boston zu verbringen. Zur Feier des Tages hatte er ihren Lieblingskäse besorgt und Wein vom Russian River. Er hatte das Bad geputzt und eine CD rausgesucht. Und er hatte die Dateien mit seinem Profil und alles, was mit den Briefen zu tun hatte, auf einem USB -Stick gespeichert und von der Festplatte gelöscht. Man konnte nie wissen. Und mit seiner Liebsten war nicht zu spaßen, vor allem wenn sie aus heiterem Himmel anbot, nach Boston zu kommen, obwohl sie die Stadt sterbenslangweilig fand. Sam verdrängte Klaras nahende Ankunft und konzentrierte sich wieder auf sein Profil. Er nutzte dazu jede Gelegenheit, denn wie er zugeben musste, wurde sein Bild von Tom nicht nur klarer, sondern auch faszinierender. Sam scrollte zu dem zentralen Element seines Täterpsychogramms: einem Kreis aus mehreren Elementen, die Aspekte seiner Persönlichkeit darstellten. In der Mitte, im Zentrum des Kreises, stand nur ein Wort: Tom. Die Unterschrift aus den Briefen, wobei Sam natürlich klar war, dass es nicht unbedingt sein richtiger Name sein musste. Darum vier Segmente für seine Persönlichkeit, seine Historie, die Opfer und eines für Hinweise geografischer Natur. Dazwischen alle Details, die er bisher aus den Briefen hatte ableiten können, versehen mit den jeweiligen Referenzen zu den zwei Briefen. Sam wusste mittlerweile, dass es sich bei dem Täter um einen kontrollierten Soziopathen handeln musste. Einen Sexualsadisten, wenn auch nicht einen typischen. Vor allem weil ihn seine sadistischen Züge offenbar selbst überraschten und er sich ihrer bewusst war, wie auch seiner eigenen Abartigkeit, der Andersartigkeit, die ihn von aller Norm unterschied. Dennoch passte das mutmaßliche Täterprofil – mutmaßlich, daran musste sich Sam immer wieder selber erinnern, denn all seine Annahmen trafen überhaupt nur ansatzweise ins Schwarze, wenn der Täter tatsächlich existierte, wenn seine Geständnisse wahr waren und Sam keinem Phantom nachjagte. Zurück zum Punkt, Sam, ermahnte er sich selbst. Seiner Erfahrung nach passte das Täterprofil dennoch in das Schema, das sie beim FBI für Serienmörder verwendeten. Zum Teil gerade weil es nicht »perfekt« war. Keine Tierquälereien in der Kindheit, die jede Internetseite als Voraussetzung für spätere Sexualsadisten propagierte, was nichts weiter als allereinfachste Küchenpsychologie war, die mit der Realität nur insofern zu tun hatte, als dass Tierquälereien tatsächlich überdurchschnittlich häufig in den Biografien von Soziopathen zu finden waren. Eine Voraussetzung für die Entwicklung einer solchen Störung waren sie aber natürlich nicht. Er dachte an Snow, der in seiner Jugend Katzen getötet, gehäutet und ausgekocht hatte. Und er dachte daran, wie selten ein Tätertypus wie der in seinem Profil vorkam. Und an Marin, der den Fall kategorisch abgelehnt hatte. Die statistische Unmöglichkeit. Aber die Briefe sprachen eine eigene Sprache: Tom war gebildet und intelligent. Nicht nur ein wenig, sondern weit überdurchschnittlich. Ein männlicher Weißer zwischen 38 und 45. Ein allein lebender, einsamer Mann. Sam betrachtete das kreisförmige Schaubild: ein erstes Profil, das weder vollständig war noch aktuell sein konnte. Schließlich beschrieb Tom in den aktuellen Briefen eine Phase seines Lebens, die vermutlich über fünfzehn Jahre zurücklag. Um ihn heute zu fassen, würde Sam seine Entwicklung verstehen müssen. Wie sich seine Phantasien und seine Strategie über die Jahre verändert hatten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den nächsten Brief abzuwarten. Wobei sich Sam schmerzlich der Tatsache bewusst war, dass es nicht nur wahrscheinlich, sondern nahezu sicher war, dass
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