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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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mich im Moment als Allerletztes. Diese Morde interessieren mich. Die müssen aufhören. Das steht an erster Stelle. Und zu einer Aussage zwingen können wir ihn so oder so nicht. Unter dem Strich wird uns nicht viel anderes übrig bleiben, als uns anzuhören, was er uns von sich aus erzählt. Und ich kann nicht behaupten, dass mein Herz bei diesem Gedanken höher schlägt. Also, kommen Sie!»
    Nun, so dicht vor dem Ziel, fiel es ihm schwer, sich zu zügeln.
    Ja, ihm graute vor der Begegnung. Er wollte den Traumfänger in die Finger bekommen, den Mann ausquetschen – vertrocknetes Obst, das seit vierundzwanzig Jahren in behördlicher Obhut vor sich hin rottete. Ihn ausquetschen, bis auch der letzte Tropfen Information zum Vorschein kam, der in Freiligraths krankem Hirn versickert war. Irgendetwas
musste
der Kerl wissen.
    Doch eine innere Stimme sagte Jörg Albrecht, dass es nicht so einfach werden würde. Er wollte dieses Gespräch führen, doch vor allem wollte er es so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    Aber gerade deswegen, gerade weil er damit rechnen musste, dass sich diese Begegnung als der zentrale Punkt in diesen Ermittlungen erweisen würde, durfte er nicht übereilt handeln.
    Unter keinen Umständen durfte er seine ehernen Grundsätze über Bord werfen, wo sie einem Senkblei gleich auf Nimmerwiedersehen in die kalte, strudelnde Tiefe rauschen würden.
    Er zwang sich, langsamer zu gehen.
    Der Ort, dachte er. Was sagt dir dieser Ort, an dem Max Freiligrath die letzten Jahre verbracht hat? Wie fühlt sie sich an, diese schöne, neue Psychologenwelt mit ihren verschiedenfarbigen Linien, die zu den unterschiedlichen Lagerplätzen für die schwer, die schwerer und die schwerst Gestörten führen?
    Gerade, weitläufige Flure. Helles Licht. Beruhigende Farben.
    Klar und übersichtlich, ein fast schmerzhafter Kontrast zum verwinkelten und getrübten Verstand der Menschen, die an diesem Ort ihr Leben fristeten.
    Ob sie diese klaren Gliederungen als Hilfe empfanden – oder als Hohn?
    Es ist nicht ehrlich, dachte Jörg Albrecht. Nicht natürlich.
    Künstliche Formen, künstliche Anordnungen der Räumlichkeiten, die dem um so vieles älteren Gebäude aufgezwungen worden waren. Wenn man sich die Mühe machte, sich auf das wahre Gefühl dieses Ortes einzustimmen, auf die Dinge, wie sie sich in Wahrheit verhielten, waren die ursprünglichen Formen noch teilweise erkennbar. Einzelne Elemente hatte man an Ort und Stelle belassen: einen reichverzierten Türsturz hier, ein schweres hölzernes Geländer dort.
    Innenarchitektonische Feigenblätter.
    Was fehlt, ist die Seele, dachte Jörg Albrecht.
    Das neue System funktionierte, aber es war nicht echt, weil es von außen kam. Es hätte sich jedem anderen Gebäude in genau derselben Weise aufpfropfen lassen
    Möglicherweise gelang es Seidel und seinen Therapeuten ja tatsächlich, eine neue, künstliche Form von Ordnung in die Hirne ihrer Patienten zu bringen. Doch diese Ordnung war artifiziell, aufgepresst von Fremden.
    Sie funktionieren, dachte Jörg Albrecht.
    Doch wie viel von ihnen sind sie noch selbst, wenn sie hier jemals wieder herauskommen?
    Die mintgrüne Linie folgte einer Treppe ins Obergeschoss. Violett und Altrosa blieben in den Niederungen des Parterres zurück.
    Eine Glastür, ohne Sicherheitssperre diesmal. Mintgrün endete unmittelbar davor in einem bunten Farbklecks mit der Aufschrift 62.b.
    Albrecht hielt der Kommissarin die Tür auf.
    Ein neuer Korridor, Linoleumboden, ein Dutzend Türen zu beiden Seiten. Die erste auf der rechten Seite stand halb offen. Das Stationszimmer?
    Der Hauptkommissar trat einen halben Schritt vor und spähte ins Innere.
    Ein schwerer Schreibtisch, im Hintergrund eine Bücherwand bis hinauf zur Deckenvertäfelung. Am Schreibtisch saß ein älterer Mann in einem hellblauen Kittel, den Kopf über eine Akte gebeugt. Im Grunde war nicht viel mehr zu sehen als das akkurat gescheitelte, silbergraue Haar.
    Albrecht klopfte. Es konnte nicht schaden, wenn sie sich anmeldeten.
    Der Arzt blickte nicht auf, beschrieb aber eine wedelnde Bewegung mit seinem Füllfederhalter. «Ich bin sofort für Sie da. Bitte … Wenn Sie sich so lange setzen …»
    Albrecht nickte, trat ein – und stoppte abrupt, als er sah, worauf der Mann gewiesen hatte.
    Eine Couch. Eine
Psychologen
-Couch.
    Demonstrativ blieb der Hauptkommissar stehen. Friedrichs schloss zu ihm auf.
    Der Arzt bemerkte nichts davon.
    Er blätterte. Machte eine Notiz am Rand

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