Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
dann Dinge, zu denen ich am Tag nicht komme.
Ich mache Ohren-Wellness
Es gab Zeiten, da war ich drauf und dran, die Lärm— schutzmessung in unsere Wohnung zu bestellen. Ich wollte beweisen, dass ich als Mutter ein Recht auf Gefahrenzulage habe, weil der Krachpegel meiner Kinder mein Tinnitus-Risiko erhöht. Ein Beispiel aus der Praxis: Jette daddelt sich mit Claras Nintendo durch die Tierpension. Geschreipegel, wenn Clara die unerlaubte Inbetriebnahme entdeckt: etwa 80 Dezibel. Hektisches Nintendo-Gepiepe, weil Jette ihren virtuellen Fiffi jetzt sehr schnell fertig füttern muss: circa 35 Dezibel. Macht
zusammen 115 Dezibel, was in etwa der Lärmbelastung durch eine startende Boeing entspricht. Erhöhung des mütterlichen Tinnitus-Risikos: mindestens fünffach.
Ein weiteres Beispiel aus den letzten sehr regenreichen Ferien: Beide Kinder hatten Freunde eingeladen und meinten, das ausdauernde Hüpfen vom Hochbett sei eine angemessene sportliche Betätigung für Schlechtwetter-Ferien. Boller- und Geschreipegel bei der Landung auf dem Parkett: 90 Dezibel. Geschreipegel nach Hüpfverbot: auch 90 Dezibel. Erhöhung des mütterlichen Tinnitus-Risikos: mindestens dreifach. Bei den darunter wohnenden Nachbarn ebenso.
Nun haben die Gerichte ja bereits bei diversen Mietklagen festgestellt, dass Kindergeschrei in Höfen und Wohnungen zur natürlichen Lebensäußerung von kleinen Menschen gehört. Erhöhte Tinnitus-Raten bei Müttern dürften deshalb zum natürlichen Risiko des Familienalltags gehören – weshalb ich die Idee mit der Gefahrenzulage wieder verworfen und mich meinem Schicksal gefügt habe.
Dass mir dies inzwischen gut gelingt, liegt auch an meiner akustischen Wellness-Oase, die ich zwischen drei und vier Uhr nachts besuche: In dieser Zeit ist es nämlich sehr still in unserer Wohnung. Es ist so still, dass ich das feine Surren des Rades höre, in dem unser Zwerghamster seine Runden dreht. Ich höre auch die Stewardess, die immer versucht, ihren Rollenkoffer ganz leise über die Steine im Hof zu ziehen, wenn sie einen Flug nach Rio hat oder nach Tokio. Und ich höre
Jette, wie sie im Schlaf flüstert. Leider verstehe ich nicht, was. Aber ich vermute, es handelt sich um ein Zwiegespräch mit Lena Meyer-Landrut in einem seltsamen britischen Dialekt. Jette will nämlich neuerdings nicht mehr Teufelskicker, sondern Eurovision-Contest-Siegerin werden und braucht dazu noch ein paar Tipps. Solange sie die im Traum geflüstert kriegt, soll’s mir recht sein. Denn Flüstern verstärkt den Entspannungseffekt beim Ohren-Wellness enorm.
Ich mache Mädchen-Mathe
Wie Sie wissen, habe ich zwei Mädchen. Beide finden Mathe doof. Sie halten das Hantieren mit Zahlen für eine völlig überflüssige Kulturtechnik. Und Sachaufgaben für eine undurchsichtige Erfindung des Bildungsministeriums. Ich teile diese Ansicht so nicht. Allerdings finde ich auch, dass es meinen Mädchen nicht leicht gemacht wird, Mathe zu mögen – und ich habe den Verdacht, dass Matheschulbuchmacher meistens männlich sind. In den Sachaufgaben wimmelt es von Baumschulenbesitzern, die mit 3,5-Tonnern und Motorsägen unterwegs sind, was meine Mädchen genauso wenig interessiert wie der Maurermeister, der eine Mauer 15 Meter lang und drei Meter hoch mauert … Auch deshalb brauche ich die Nacht. Denn in der Zeit zwischen drei und vier denke ich mir Mädchen-Mathe aus: Wenn Lena Meyer-Landrut viermal am Tag drei
Minuten lang »Satellite« singt und für jede Sekunde »Satellite« zwei Euro kriegt – wie viel verdient sie dann im Monat?
Oder: Wenn H&M 13 Kartons Hello-Kitty-T-Shirts angeliefert bekommt. Und in jedem Karton sind 60 Shirts, und in einer Stunde kaufen fünf Mädchen je ein Shirt – wie viele Tage reicht dann die neue Lieferung (und wie groß ist das Gezicke, wenn in der Schule alle das Gleiche tragen)? Sie sagen, das kann man nicht ausrechnen, wenn man nicht weiß, wie lange H&M geöffnet hat? Stimmt! Liegen Sie etwa auch nachts wach?
Wenn ich fertig bin mit Ohren-Wellness und Mathebuchumschreiben und immer noch wach, widme ich mich noch dieser Kolumne:
Ich denke über die Seltsamkeiten im Leben mit Kindern nach
Gestern Nacht ging mir ein schräger Dialog nicht aus dem Sinn, den ich am Abend vorher mitgehört hatte. Jette fragte Clara beim Tischabdecken: »Kennst du eigentlich Hartz IV – is das ne neue Band?« »Nee«, hörte ich Clara sagen, die gerade den Gurkenglasdeckel suchte und heftig mit den Augen rollte, »nee, die Band
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