Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
heißt Saphir und is ne girl group.«
Um kurz vor vier in der Nacht begann ich zu überlegen, ob es nicht vielleicht wirklich eine Band gibt, die Hartz IV heißt. Den Jungs aus der Punk-Szene
traue ich das zu – allerdings traue ich Jette nicht zu, dass sie mit sieben heimlich Punk hört. Ich dachte auch darüber nach, wie ich meinen Kindern am besten erklären könnte, was Hartz IV eigentlich bedeutet und wie ich das alles in meiner Kolumne unterbringe. Doch gerade als ich dabei war, meine Gedanken kreativ fließen zu lassen … bin ich wieder eingeschlafen.
Deshalb geht es hier für heute nicht mehr weiter. Aber morgen werde ich sicher wieder wach liegen und mir meine Mütternachtsgedanken machen: morgen und übermorgen und in fünf, sechs Jahren sowieso. Dann wird Clara damit anfangen, selbst um die Häuser zu ziehen. Die Zeiten, in denen ich mich gefragt habe, ob meine Kinder im Halbschlaf allein den Weg zum Klo finden, werden lange vorbei sein – stattdessen werde ich wach liegen und mich fragen, ob sie sicher den Weg nach Hause finden.
Und das Drehen des Schlüssels in der Tür wird dann für meine Ohren ebenso viel Wellness-Potenzial haben wie heute das leise Klickern des Rollenkoffers auf seinem Weg nach Rio.
Wir sind dann mal weg!
Von unseren Töchtern werden Jochen und ich gezielt zur Selbstständigkeit erzogen. Mit Erfolg: Unsere Kreise werden jetzt immer größer.
Ich finde, Jochen und ich dürfen stolz sein – auf uns. Wir sind nämlich schon groß und können immer mehr Dinge allein! Wir können Sonntagmorgen gemeinsam eine Stunde joggen und danach Brötchen mitbringen. Wir können Montagabend den Wocheneinkauf machen und ohne schreiende Begleitung entscheiden, dass wir keine Hunderterpackung Kaugummi kaufen. Wir können zu Silkes 40. Geburtstag gehen und ungestört über den Werteverfall des Euro diskutieren! Oder abends mal spontan ins Kino zwei Straßen weiter.
Ja, das alles schaffen wir schon ganz allein: ohne Kinder. Ohne teuren Babysitter. Ohne Babyfon – und ohne großen Zeitdruck. Toll, was!? Dass es mit uns so weit kommen konnte, liegt daran, dass uns unsere Töchter konsequent zu selbstständigen Eltern erziehen.
Wie sie das machen? Sie werden ganz zielstrebig immer älter und (wenn auch nicht ganz so zielstrebig) immer vernünftiger. Plötzlich konnten sie lesen und schreiben, mit dem Telefon umgehen und an den Hausschlüssel denken, bevor sie die Tür zuknallten, um runter in den Hof zu gehen. Und irgendwann, ich glaube, es war im letzten Februar, sagten sie dann einen denkwürdigen Satz: »Mama, Papa, wollt ihr denn nicht mal wieder weggehen!?« Damals dachte ich: Aha, sie wollen uns loswerden. Und endlich in Ruhe Unordnung machen und Chips essen. Aber wahrscheinlich war das eine Unterstellung. In Wahrheit wollten sie nur unser Bestes!
Damals im Februar war das Erstbeste ein Kino film mit George Clooney. Irgendeine Vielfliegergeschichte, die ganz amüsant war, die ich aber nur in Teilen mitbekam, weil ich etwas unruhig war und immerzu mein Handy befühlte, das auf Rütteln stand. Aber außer Georgies Airbus inmitten einiger Turbulenzen rüttelte nichts – und als wir nach Hause kamen, lagen die Mädchen zusammen im großen Bett. Sie hatten sich hübsch gemacht mit meinen Nachthemden. Und einen Zettel geschrieben: Wir haben Zähne geputzt und sind nicht an die Tür gegangen. Da war ich irgendwie gerührt und sagte zu Jochen: »Weißt du was, das machen wir bald wieder!«
Und das taten wir auch: einmal im April, einmal im Mai, zweimal im Juni … Und ich muss sagen: Es macht wirklich Spaß, wenn man ganz allein Dinge tun darf,
die nur die Großen tun. Um die Kinder nicht zu verärgern, sollte man dabei natürlich sehr pünktlich wieder zu Hause sein. Außerdem sollte man kleinere Störfälle und Begleiterscheinungen einkalkulieren wie zum Beispiel:
Mamas Wahnvorstellungen
Wahnvorstellungen sind bei Eltern, die auf dem Weg in die Selbstständigkeit sind, weit verbreitet. Vor allem Mütter stellen sich die unglaublichsten Dinge vor. So bildete ich mir bei unserem ersten Kinobesuch nicht nur ein permanentes Handyrütteln ein. Nein, als der smarte Georgie gerade mal wieder in 10 000 Meter Höhe aus seinem Business-Class-Fenster schaute, stellte ich mir vor, dass Jette vielleicht auf die Idee kommen könnte, Seifenblasen aus dem Fenster zu pusten – und dabei rausfallen würde …
Und als ich auf Silkes Geburtstagsfeier die brennenden Kerzen sah, dachte ich darüber nach, dass
Weitere Kostenlose Bücher