Ich bin ein Genie und unsagbar böse
lächle einfältig. »Anti-utopisch, das klingt lustig …«
Die ganze Klasse bricht in ein blökendes Gelächter aus. Moorhead wendet sich seufzend wieder der Tafel zu. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.
Noch viel hoffnungsloser sind allerdings seine An näherungsversuche an La Sokolova. Die spielt definitiv nicht in seiner Liga, ist zehnmal klüger als er und sieht auch viel besser aus, obwohl sie so dürr ist. Sie gehört zu der Sorte Frauen, die für Moorhead normalerweise unerreichbar sind. Da kann er sich höchstens die Nase an der Scheibe platt drücken, wenn sie vorbeigehen.
Doch bestimmt glaubt er, gute Karten bei ihr zu haben, weil sie in dieselbe Schule eingesperrt ist wie er.
Die Ironie besteht darin, dass Moorhead ohne sie garantiert besser dran wäre als mit ihr. Abgesehen von ihrer Schönheit und Intelligenz ist sie ein reizbares, überkritisches Biest. Vielleicht ist sie sogar die unverschämteste Frau, die ich je kennengelernt habe. Benito Guzman, dem schüchternsten Jungen der ganzen Schule, hat sie mal gesagt, er habe die Persönlichkeit einer benutzten Windel. Wenn Moorhead je das Pech haben sollte, dass sie sich auf eine Beziehung mit ihm einlässt, würde sie ihn zu Brei machen.
Hmmm.
Nach der Stunde bleibe ich absichtlich lange auf meinem Stuhl sitzen, weil ich sehen will, wie Moorhead die Aufschrift auf seiner Zigarette liest: DU SOLLTEST EIN NEUES DEO AUSPROBIEREN!
Sozialkunde ist für mich das schlimmste Fach von allen - eigentlich komisch, weil mir die Lehrerin irgendwie sympathisch ist. Nur leider ist der Stoff stinklangweilig. Als wollte sie uns unbedingt beibringen, wie uninteressant die Leute in anderen Ländern sind.
Ich hebe meine Hand. »Ja, Oliver?«, sagt Ms. Magoffin, meine Sozialkundelehrerin.
»Ich hab Bauchschmerzen.«
»Das ist ein ernstes Problem, Ms. Magoffin«, meldet sich Tatiana zu Wort. »Wenn er Magenprobleme hat, merken sie das auch in China.«
Ms. Magoffin ignoriert die Bemerkung.«Tja, Oliver, das wundert mich nicht. Ich habe gesehen, wie du vor dem Unterricht Trockenfleisch und grobe Erdnussbutter gegessen hast. Aber wenn es hilft, kannst du gerne auf die Toilette gehen.«
Ms. Magoffin ist normalerweise die Höflichkeit selbst, deshalb wundere ich mich, dass sie auf meinen kleinen Snack eingeht. 39 Doch ich danke ihr und renne aufs Klo.
Es ist leer, wie erwartet. Ich gehe zur dritten Kabine, an deren Tür schon seit Ewigkeiten ein Defekt -Schild hängt. Doch auch wer das Schild ignoriert, kann die Tür nicht öffnen, da sie mit einem Elektromagnetschloss gesichert ist. Und das lässt sich nur durch eine bestimmte Abfolge von Geruckel am Türgriff öffnen. 40
Die Toilettenschüssel sieht genauso fleckig, dreckig und verkrustet aus wie jede andere Toilettenschüssel auf unserer Schule, aber das ist alles nur Farbe und Make-up. In Wahrheit ist es gar keine Toilette, und ich bestehe darauf, dass sie stets absolut sauber ist.
Ich hebe den Deckel des »Spülkastens« hoch, der mit Süßigkeiten, Popcorn und Limonade gefüllt ist. Ich nehme mir eine Tüte Popcorn und »spüle«, worauf eine Vorrichtung über meinem Kopf einen Film auf die Wasserfläche der Schüssel projiziert.
Der Film wurde ungefähr zwanzig Minuten nach meinem Besuch bei Mr. Pinckney aufgenommen. Schauplatz ist sein Büro. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und erledigt grummelnd Papierarbeiten, als der Motivator den Raum betritt.
Ich stelle den Knopf in meinem Ohr auf Filmempfang, damit ich den Ton höre.
Mr. Pinckney fragt: »Wer sind Sie?«
Der Motivator entgegnet lächelnd (es ist ein Furcht einflößendes Lächeln): »Ich möchte Ihnen dringend raten, Oliver Watson zur Klassensprecherwahl zuzulassen.«
Pinckney sieht ihn fragend an. »Wer sind Sie? Olivers Vater?«
Das Lächeln des Motivators wird noch breiter. »Ich möchte Ihnen dringend raten, Oliver Watson zur Klassensprecherwahl zuzulassen.«
»Sie können hier doch nicht einfach reinplatzen und irgendwelche Forderungen stellen. Zwingen Sie mich nicht, den Wachdienst zu rufen.« Pinckney greift zum Telefonhörer, doch die Leitung ist tot.
Jetzt grinst der Motivator von einem Ohr zum andern. »Ich möchte Ihnen dringend raten, Oliver Watson zur Klassensprecherwahl zuzulassen.«
Zu diesem Zeitpunkt knicken die meisten Leute ein, weil sie Muffensausen kriegen. Sie starren das über zwei Meter große, kahlköpfige, schwarz gekleidete Ungetüm an, das sich vor ihnen aufgebaut hat, und sagen: »Aber natürlich! Ganz, wie Sie
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