Ich bin ein Genie und unsagbar böse
sehe ich ihre Augen hinter dem Buch glühen.
Tatiana pustet sich ein paar rosa Krümel vom Daumennagel. »Nur damit du Bescheid weißt - ich beobachte dich.«
»Wa… warum?«, stammele ich.
Diesmal bläst sie mir die Krümel ins Gesicht. »Weil niemand so doof sein kann, wie du dich verhältst.«
Zwei Dinge gehen mir durch den Kopf, während ich mit fünfminütiger Verspätung zum Erdkundeunterricht laufe:
• Tatiana ist sehr scharfsinnig.
• Ich schulde ihr eine Sonnenbrille.
Ich quetsche mich auf meinen Stuhl, während mir Miss Broadway einen tadelnden Blick zuwirft. Höchste Zeit, meinen fiesen Plan in die Tat umzusetzen. Schritt eins: Irgendeinen Hohlkopf dazu bringen, als Klassensprecherkandidat gegen mich anzutreten .
Ich schaue zu dem Platz hinüber, wo sonst Randy sitzt, aber der scheint gerade zu schwänzen. Wahrscheinlich wartet er darauf, dass die Demütigung verraucht.
An der Unterseite meines Tisches klebt eine Akte, die für mich bestimmt ist. Ich ziehe sie hervor und beginne sofort zu lesen. Es handelt sich um rasch zusammengetragenes Material über Scott Sparks, den erbärmlichsten Buchhalter von ganz Omaha ( siehe Bild 13 ).
Mit Ach und Krach den Abschluss auf einem miesen College geschafft. Mit Ach und Krach bei einem
miesen Wirtschaftsprüfungsunternehmen untergekommen. Von seinen Kollegen mehr geduldet als akzeptiert. Keine Aufstiegsmöglichkeiten. Sozial isoliert. Vor fünf Jahren von seiner Frau verlassen. Ein Sohn.
Sparks und Sohn wohnen in einem kleinen Mietshaus am Dundee Boulevard. Die ehemalige Grünfläche vor dem Haus ist längst den Verdurstungstod gestorben, und die Innenaufnahmen meines V-Manns offenbaren das ganze Elend der unteren Mittelschicht. Alles liegt unter einer dicken Staubschicht begraben. Vergessene Limoflaschen und Pizzareste, wohin man auch schaut. Türme von Aktenordnern und Unterlagen der letzten Steuererklärung bedecken die Hälfte des Fußbodens, sodass die Sparks eigens konstruierte Gänge benutzen müssen, um auch nur ins Badezimmer zu gelangen. ( siehe Bild 14 ).
Einziger Lichtblick: das einst glänzende, nun maximal verdreckte Fahrrad, das Scott seinem Sohn zu Weihnachten geschenkt hat. Randy fährt darauf stundenlang, wenn die Schule vorbei ist. Scott ermahnt ihn immer, es abends ins Haus zu holen, doch meist lehnt Randy es einfach draußen an die Wand. Die Leute sind oft so nachlässig mit den Dingen, die ihnen am Herzen liegen.
Der Papa und das schmutzige Fahrrad. Sie sind mein Joker.
Ich studiere gerade die Fotos und hecke einen Plan aus, als sich ein monumentaler Schatten über mich legt. »Was hast du da, Oliver?«, fragt Miss Broadway mit neugierigem Blick.
Ich bin es so leid, dass Lehrer hinter mir herspionieren.
»Nichts«, antworte ich und klappe die Akte zu, aber so einfach lässt sich Miss Broadway nicht abschütteln. »Lass mal sehen!« Sie schiebt ihre fleischige Hand herüber.
Bild 14 : Die Innenaufnahmen meines V-Manns offenbaren das ganze Elend der unteren Mittelschicht.
»Feueralarm«, murmele ich. Als die Alarmanlage losheult, hat Miss Broadway natürlich anderes zu tun.
Und ich, ehrlich gesagt, auch.
Kapitel 18
Kurnzmeldungen
Auszüge aus »Berühmte Wahlkampfmanagerin zieht sich nach Omaha zurück« 74 , Omaha Weltwoche, 24. April:
Sie wurde wohl vor allem durch den »Warum-gucktseine-Frau-so-erschrocken?«-Werbespot bekannt, den sie für den Präsidentschaftswahlkampf der Demokraten 2004 kreierte. Die Spitzenkandidaten beider politischen Lager verurteilten den Spot bei seinem Erscheinen, doch waren beide darauf aus, sich ihre Dienste für den Kongresswahlkampf 2005 zu sichern…
Salisbury, die keine frühere Verbindung zu Omaha hat, gibt an, sie habe sich auf ihrer Reise durch den Mittleren Westen einfach in das Dundee-Dell-Viertel verliebt. »Ich sah ein Haus, das mir gefiel, und entschloss mich zu bleiben«, sagt sie auf der Veranda ihres…
… sind völlig perplex. »Ich kenne Verna seit
fünfzehn Jahren. Das ergibt überhaupt keinen Sinn«, sagt eine Quelle, die anonym bleiben möchte. »Sie liebt diesen Kitzel. Sie liebt es, Wahlkämpfe zu organisieren. Sie liebt es, einen aussichtslosen Kandidaten so auf Vordermann zu bringen, dass er am Ende die Wahl gewinnt.« Salisbury hingegen behauptet, »keine Lust mehr auf diesen Zirkus« zu haben. Obwohl sie mit 37 Jahren im Zenit ihrer Karriere steht, hat sie gegenwärtig nur ein Ziel: »Einen besonderen Menschen zu finden, mit dem ich mein Leben verbringen
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