Ich bin ein Genie und unsagbar böse
weiß, wovon ich spreche.«
Dieses eine Mal versteht Oliver nur Bahnhof.
»Wir leben in einer Demokratie.« Er spricht das Wort aus, als wäre es etwas Heiliges. »Und in einer Demokratie kommt es nicht darauf an, eine Wahl zu gewinnen , sondern an ihr teilzunehmen . Es geht um die Auseinandersetzung, den demokratischen Wettstreit. Ich meine, wenn man einfach so in sein Amt spazieren würde … natürlich ist es wunderbar, von seinesgleichen geschätzt zu werden« - an dieser Stelle zwinkert er mir herablassend zu -, »aber damit hat man noch nichts gewonnen. Das ist wie in den kommunistischen Ländern oder irgendwelchen Bananenrepubliken, wo der Ausgang der Wahl schon vorher feststeht. Wäre mein Sieg in der zehnten Klasse so viel wert gewesen, wenn ich nicht Louis Goldberg hätte schlagen müssen? Nein, es wäre überhaupt kein Sieg gewesen!
Die Schönheit des amerikanischen Systems besteht im friedlichen Wettkampf der Ideen. Zwei oder mehrere Leute steigen in den Ring, um die Herzen und Hirne ihrer Mitbürger zu gewinnen. Das verleiht der Regierung Stärke. Und das verleiht auch der Schülervertretung Stärke.«
Ich glaube, mein Herz hat aufgehört zu schlagen.
Mein Gott, der glaubt ja tatsächlich an diesen Schwachsinn. Und in seinen Augen habe ich nichts erreicht.
Glaubt der etwa, Raketen abschießende Boba-Fett-Actionfiguren würden auf Bäumen wachsen?
Zumindest einen seiner Zuhörer scheint er überzeugt zu haben. »Tut mir leid, Oliver«, sagt Mom. »Ich wusste nicht … aber vielleicht kannst du ja im nächsten Jahr gegen einen anderen Kandidaten antreten.« Sie schenkt mir ihren liebevollsten Blick.
Daddy schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter. »Sollte wohl nicht sein, Kumpel!«
Ich nicke und versuche zu schlucken, doch es fühlt sich so an, als hätte ich Kreide im Mund. Meine Gesichtszüge verhärten sich zu einer undurchdringlichen Maske. Was muss ich tun, um diesen Mann zu beeindrucken? 71
Ich klopfe mit dem linken Fuß auf den Boden …
Meine inneren Organe verschmelzen - ich spüre es - zu glühender roter Lava. Jeden Moment kann sie aus meinem Mund hervorbrechen und sein dämliches Grinsen unter sich begraben.
Mein linker Fuß klopft ein zweites Mal …
Ich spüre, wie meine Haare zu einem eisigen Feuer gefrieren, das in mein Gehirn dringt.
Mein linker Fuß klopft ein drittes Mal …
»Warum tut sie das?«, fragt Daddy, dem der Schweiß auf der Stirn steht.
Er blickt auf Lolli herab, die ihn so hasserfüllt anstarrt wie nie zuvor. Sie knurrt, als hätte sie eine Kettensäge verschluckt. In ihren geweiteten Nasenlöchern steht der Schaum. Ihre Augen sind so flach und tot wie zwei schmutzige Pennys.
»Sie braucht dringend einen Spaziergang«, sage ich.
»Aber sie war doch vor dem Abendessen draußen«, entgegnet Mom.
»Sie braucht einen Spaziergang«, wiederhole ich und springe auf. Mein treuer Vierbeiner, mein geliebter loyaler Hund folgt mir aus der Tür.
Lollipop braucht einen Spaziergang? Ich brauche einen Spaziergang.
Ich muss mein Temperament abkühlen, bevor ich versehentlich ein viertes und letztes Mal mit dem linken Fuß klopfe - und Lollipop etwas tut, was niemand von uns rückgängig machen könnte.
Aber was noch wichtiger ist: Ich brauche einen Gegner.
Kapitel 17
Was willst du, Arschgesicht?
Sorry. Mir war einfach nach dieser Frage zumute.
Im Unterricht schlafe ich viel. Irgendwie wird das von mir erwartet. Niemand scheint sich zu fragen, warum doofe Kinder eigentlich mehr Schlaf brauchen als kluge. Kommt ganz auf die Lebensumstände des doofen Kindes an. Manche müssen im Haushalt helfen oder auf jüngere Geschwister aufpassen oder können nachts nicht schlafen, weil sich ihre bescheuerten Eltern ständig in den Haaren liegen. Einige sind natürlich echte Volltrottel und hocken die ganze Nacht vor der Glotze. Andere hingegen müssen bis spät in die Nacht arbeiten, um ihr geheimes Weltimperium zu steuern.
Die meisten Lehrer freuen sich darüber, wenn die schlechten Schüler schlafen. Dann können die guten besser lernen. Nicht so Lucy Sokolov.
Sie stößt mich mit einem Zeigestock in die Seite. Das ist die erste Sinneswahrnehmung, die ich spüre - wie der Stock mir in die Rippen sticht. Dann höre ich, wie die Affenbande um mich herum in grölendes Gelächter ausbricht. Ms. Sokolovs essigsaure Stimme
dringt durch den Lärm an mein Ohr: »Wach sofort auf!« Als ich die Augen aufschlage, sehe ich Tatiana, die mich, schräg in der Luft liegend, von ihrem
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