Ich bin ein Mörder
strich langsam über die nackte Haut ihrer Unterarme.
»Es ist nichts. Nichts von Belang.«
Auf der Karte stand kein Text.
»Aber es bedrückt dich.«
»Eine uralte Geschichte. Die eigentlich längst abgehakt ist. Nur eine kleine unbedachte Äußerung, die ich gleich wieder vergessen hatte. Aber dann ist was passiert. Ich habe es damals verdrängt und mir gesagt, das hat nichts miteinander zu tun. Aber es war die ganze Zeit da. Unterschwellig. Irgendwo in meinem Kopf. Und jetzt … Ich frage mich, ob es jetzt gerade weitergeht.«
»Was, Conrad?«
Er zog sie zu sich auf den Sessel. »Ich weiß nicht genau, was es ist. Es ist noch zu früh. Vielleicht auch nur ein Hirngespinst. Wenn ich mehr weiß, werde ich es dir erzählen.«
* * *
Gemächlich schlenderte Alexandra über den Römerberg. Die altehrwürdige Kulisse interessierte sie wenig. Nur während des Weihnachtsmarktes spürte sie eine Art Zauber, der von diesem Platz ausging. Die Lichter, der Glanz, der Duft nach Zimt und Glühwein. Oder wenn oben auf dem Balkon ein Sieg gefeiert wurde, wie der Weltmeistertitel der Fußballerinnen. Dann überkam sie diese merkwürdige Gänsehaut. Feierlich irgendwie und mitreißend. Auch wenn sie dienstlich hier war. Im Augenblick galt ihr Interesse allerdings etwas ganz anderem: Essen. Und dem Versuch, dabei alle negativen Gedanken des Tages zu vergessen.
»Übrigens: Danke für das Interview.« Jörg stopfte drei Pommes gleichzeitig zwischen die Zähne.
»Welches Interview?«
»Tu nicht so! Stockmann, der mit niemandem spricht, gibt mir am Montag ein Exklusivinterview. Das ist doch dein Werk.«
»Ist es nicht.« Sie wischte sich mit der Serviette über den Mund. Dieses elende Fastfood-Zeug würde ihrer Figur irgendwann den Rest geben.
»Ich glaube dir kein Wort. Wieso sollte er sonst ausgerechnet zu mir kommen?«
»Er kam zu dir?«
»Nicht persönlich. Der Marketing-Chef seines Verlages hat sich bei mir gemeldet. Aber er wollte mich. Ausdrücklich.«
Seufzend schob Alexandra einen weiteren Pommes nach. Teufelszeug.
»Komisch. Hat aber nichts mit mir zu tun.« Dann lachte sie und kniff ihn in den Po. »Hör mal, wenn er dich will , sei auf alles gefasst. Ich glaube nicht, dass er einen Unterschied macht, wenn er jemanden fürs Bett sucht.«
Jörg verschluckte sich prompt und sie klopfte ihm kräftig auf den Rücken.
»Was meinst du damit?«
»Dass es ihm egal ist, welches Geschlecht sein Gegenüber hat, wenn es willig und ihm ganz ergeben ist. Oder wenn er sich einen persönlichen Vorteil davon verspricht. Außerdem wirkt er sehr anziehend auf beiderlei Geschlechter. Lass dich nicht verführen.«
Jörg schüttelte sich mit Nachdruck. »Keine Gefahr für mich.«
Auf dem Brunnen vor ihnen thronte die Justitia. Frisch und munter nach einem wochenlangen Wellnessaufenthalt mit Runderneuerung in einer Restauratorenwerkstatt. Mit Waage und Schwert, blind und unbestechlich.
»Sei dir nicht zu sicher.«
»Sag mal, wenn du das so genau weißt, heißt das …«
Trotzig schaute Alexandra ihn an.
»Du hast gewusst, dass ich ihn will. Er wollte auch. Bist du jetzt beleidigt? Darf ich dich daran erinnern, dass unsere Verbindung nicht gerade eine klassische Zweierbeziehung ist?«
Sein gekränkter Stolz war nicht zu übersehen.
»Lass uns einfach nicht darüber reden, okay? Du erfährst nicht, was zwischen ihm und mir passiert, und er erfährt kein Sterbenswörtchen über dich. Ich habe nicht vor, zu vergleichen. Das ist kein Wettkampf. Das ist nur … mein ganz persönlicher Wahnsinn. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, wie mir das alles passiert ist, und ich habe auch nicht die geringste Lust, darüber nachzudenken. Ach ja, noch eins: Bitte erspare dir und mir und auch Mischa solche panischen Aktionen wie letzte Nacht. Ich kann selbst auf mich aufpassen. Jetzt muss ich los. Silke wartet, ich bin heute Abend als Babysitter gebucht. Ich bin der Babysitter, verstehst du? Ich brauche keinen!«
Damit küsste sie ihn freundschaftlich auf die Wange, drehte sich um und ließ ihn stehen.
Sonntag, 28. Oktober
Unbehaglich rutschte Mischa über Conrad Neumaiers Sofa. Wenn ihm jemand etwas über den angeblich realen Brückenmord aus Stockmanns Buch erzählen konnte, dann war er das. Schließlich arbeitete der ältere Kollege schon lange bei der Kriminalpolizei und ein solcher Fall war garantiert nichts, was man einfach so vergaß. Sein Anliegen bereitete Mischa doppelt Kopfschmerzen. Er wollte nicht,
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