Ich bin eine Nomadin
fundamentalistische Islam massiv ausgebreitet, und viele Muslime, die die Gebote zuvor nicht streng einhielten, haben sich plötzlich verändert. Fundamentalistische Prediger haben sie ohne große Schwierigkeiten »umgedreht«, weil diese Muslime nicht über die intellektuellen Ressourcen verfügen, um die Thesen der Fundamentalisten zu widerlegen, die im Grunde nichts anderes besagten als: »Wenn du ein wahrer Muslim bist und an das, was im Koran steht, auch glaubst, dann fange an, dich daran zu halten.«
Manche Muslime gehören weder in die eine noch in die andere Kategorie. Sie halten die Gebote mehr oder weniger ein, vertreten aber keine extremen Überzeugungen. Und manche haben den Versuch unternommen, die muslimische Schrift über einen Prozess der Interpretation und Neuinterpretation zu modernisieren. Dieses Unterfangen wird von westlichen Nichtmuslimen, vorwiegend akademisch tätigen, gefördert.
Ich habe Bücher von muslimischen »Feministinnen« gelesen, die versuchten, den Koran neu zu interpretieren. Ich habe die unterschiedlichsten Artikel gelesen und mir Diskussionen von Muslimen angehört, die versuchten, grundlegende Elemente des Islam wie Dschihad, die Behandlung von Frauen, die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse neu auszulegen. Die Fundamentalisten bezeichnen diese Modernisierer als Ketzer und Ungläubige, die vom Westen in die Irre geführt und korrumpiert worden seien. Ein berühmtes Beispiel für diese Gruppe ist Nasr Abu Zaid, ein ägyptischer Wissenschaftler. Er hat angeregt, dass Teile des Korans durchaus so ausgelegt werden könnten, dass sie mit der modernen Welt vereinbar wären. Aber er wurde von Fundamentalisten scharf angegriffen, als Ungläubiger gebrandmarkt und zwangsweise von seiner Frau, einer Literaturprofessorin, geschieden. Als Grund nannte man, er sei Apostat, vom Glauben abgefallen – obwohl er selbst beharrlich erklärte, er bleibe Muslim –, und eine Muslimin wie seine Frau dürfe nicht mit einem Nichtmuslim verheiratet sein. Am Ende musste Abu Zaid in die Niederlande fliehen.
Die iranisch-amerikanische Muslimin Laleh Bakhtiar hat den Koran neu ins Englische übersetzt. Dabei handelt es sich nicht um eine kritische Überprüfung des gesamten Korans, sondern sie hat einige besonders grausame und unmenschliche Passagen geglättet, indem sie bestimmte Bedeutungen bei der Übersetzung unter den Tisch fallen ließ. Auch sie wurde von Fundamentalisten lächerlich gemacht und mit dem Tod bedroht.
Die Werke dieser sogenannten gemäßigten Interpreten des muslimischen Glaubens bieten mit ihrem Versuch, einen moderaten Islam zu präsentieren, jedoch keine große Hilfe. Ihre Schriften zu lesen ist ungefähr so, wie wenn man mit verbundenen Augen versucht, sich tastend in der eigenen Wohnung zu orientieren, nachdem jemand die Möbel umgestellt hat. Dauernd stößt man irgendwo an. Die Sprache ist kaum zu verstehen, die Argumentation nicht einleuchtend. Klare Gebote des Korans wie »Schlagt das widerspenstige Weib« und »Tod den Ungläubigen« werden verunklart und mit Zäunen umgeben. Die Neuinterpretation klingt dann ungefähr so: »Schlagt sie nicht ins Gesicht, schlagt sie nicht so, dass ihr die Knochen brechen. Nehmt nur einen kleinen Stock« – aber im arabischen Original steht davon gar nichts. In einem Text wird dem arabischen Wort tharaba die Bedeutung »verlasst sie« angedichtet, nicht »schlagt sie«, wenn man von ihr Ungehorsam fürchtet. Diese »Verbesserung« von schlagen zu verlassen wird dem Leser ganz ernsthaft, ohne jede Ironie präsentiert. (Die Übersetzerin, ganz darauf fixiert, das Wort schlagen zu vermeiden, übersieht dabei völlig die Konsequenz der neu gefundenen Übersetzung »verlassen« und wie das mit dem Recht des Mannes verknüpft ist, sich ohne Weiteres jederzeit von seiner Frau zu trennen, indem er dreimal im Namen Allahs und in Gegenwart zweier männlicher Zeugen ausruft: »Ich verstoße dich«.)
Das Verwunderlichste an diesem verzweifelten Bemühen, die muslimische heilige Schrift »neu zu interpretieren«, ist, dass kein einziger dieser intelligenten und so wohlmeinenden Männer und Frauen mit der Vorstellung leben kann, die anstößigen Teile der Schrift ganz abzulehnen. In ihren Händen wird Allah, der Gott der Klarheit, zu einem Gott der Zweideutigkeit. Aus Mohammed, dem ganz eindeutigen Vermittler von Allahs Wort, wird jemand, der sich unklar ausdrückte und der Nachwelt einen diffusen Mischmasch unzähliger Regeln hinterlassen
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