Ich bin eine Nomadin
einer Stadt wie Nairobi: Ihre Familien kamen aus dem Jemen, aus Somalia, Pakistan, dem Sudan und verschiedenen Teilen Kenias. Aber wir fühlten uns in erster Linie als Muslime, die unterschiedliche ethnische Zugehörigkeit war kein Hindernis für unsere gemeinsame Loyalität zu unserem Glauben. Im Namen des Islam verarbeiteten wir die antisemitische Propaganda, die uns präsentiert wurde. Sie erreichte uns in der Moschee, im Religionsunterricht an der Schule, in islamischen Zentren und aus dem islamischen Radio, aus Zeitschriften, Broschüren, Fernsehsendern und Audiokassetten (später in Videos, DVDs, Blogs und anderen Online-Medien). Juden waren blutrünstige Todfeinde des Islam.
Einige meiner Mitstudenten wurden aufgrund ihrer Frömmigkeit und Loyalität zum Islam auserwählt und erhielten Stipendien für die Vertiefung ihrer religiösen Studien in Mekka und Medina, den heiligen Städten in Saudi-Arabien, oder in Lahore oder Teheran. Nach ein paar Jahren kamen sie nach Nairobi zurück und gingen wie die Zeugen Jehovas im Westen in ihren Wohnvierteln von Tür zu Tür. Sie predigten natürlich den Islam: Gebete, Wohltätigkeit, Fasten und die Pilgerreise nach Mekka (wenn man sie sich leisten kann). Darüber hinaus riefen sie aber auch Tausenden von Gläubigen ins Bewusstsein, welcher Feind im Dunkeln nur darauf lauerte, sie anzugreifen: die Juden.
Wenn ich aus heutiger Sicht über diese besondere Form des Antisemitismus nachdenke, erkenne ich drei Merkmale. Das erste ist die demografische Stärke: Erhöhe die Zahl der Menschen, die glauben, die Juden seien ihre Feinde. Das zweite Merkmal ist, dass der Islam als Vehikel zur Verbreitung antisemitischer Lehren verwendet wird. Und das dritte ist ein psychologischer Kunstgriff: Stelle den Konflikt so dar, als würde der muslimische Underdog einen mächtigen und skrupellosen Feind bekämpfen.
Die somalische Dichterin Safi Abdi, die eindeutig vom Geist dieser Propaganda geprägt wurde, hat unlängst ein Gedicht auf Englisch veröffentlicht, das dieses strategische Dreieck sehr genau illustriert:
Hamas ist ein Opfer der US-Politik
Hamas ist Palästina, Palästina ist Hamas
Hamas entstand unter israelischer Besetzung
Hamas entstand unter dem Tritt eines zionistischen Stiefels.
Bei Safi Abdi sind die Juden der Sündenbock für das Böse, und der Islam ist die einigende Kraft gegen das Böse. Muslime werden aufgerufen, ihre lokalen Streitigkeiten, Armut und Tyrannei zu vergessen und sich gegen Israel, die Zionisten, die Juden zu vereinen. Das ist der Antisemitismus des 21. Jahrhunderts. Jeder Muslim, der die Existenz dieses Feindes oder seine angeblichen Motive infrage stellt, ist entweder ein Narr oder ein Verräter und Ketzer.
Die lange europäische Tradition eines christlichen und pseudowissenschaftlichen Antisemitismus wurde von Hitler und den Nationalsozialisten bis zu ihrer letzten Konsequenz getrieben, mit der bereitwilligen Unterstützung unzähliger Europäer, die sich an dem Programm der Judenvernichtung beteiligten. Die Gräuel der sogenannten Endlösung kamen nach der Niederlage des Dritten Reiches zutage, und anschließend wurde das Gift durch die Umerziehung der Deutschen, das Gedenken an den Holocaust und die Stigmatisierung oder das Verbot neonationalsozialistischer Gruppierungen bekämpft. Als Folge davon gingen Ende des 20. Jahrhunderts die meisten zivilisierten Völker im Westen davon aus, dass der europäische Antisemitismus der Vergangenheit angehöre.
Aber das stimmt nicht. Er ist zu etwas Neuem mutiert: Der arabisch-islamische Antisemitismus ist an die Stelle des europäischen getreten. Die heutigen Antisemiten haben den Nazis ein paar Kniffe abgeschaut. Sie nutzen Propagandainstrumente wie die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion, die einst schon die Nazis geschickt einsetzten. Aber sie haben zudem etwas Einzigartiges, was die Nazis nicht hatten: eine Weltreligion, die derzeit schneller als jede andere Religion wächst – einen kriegerischen Glauben, den mehr als eineinhalb Milliarden Menschen teilen. Hitler hatte Mein Kampf und die Stärke der deutschen Wehrmacht; die heutigen Antisemiten wie der iranische Staatschef Mahmud Ahmadinedschad und Osama bin Laden haben ein heiliges Buch, eine weit größere demografische Schlagkraft und bessere Aussichten, sich Atomwaffen zu verschaffen.
Ungeachtet des äußeren Anscheins geht es bei dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Nahen Osten gar nicht mehr um Land. Juden, Amerikaner
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