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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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hat. Ironischerweise vertraten christliche und jüdische Kritiker, die Mohammed zum ersten Mal hörten, genau diesen Standpunkt. Sie stellten fest, dass er ganze Passagen aus dem Alten und Neuen Testament und anderen jüdischen Schriften entnommen und zu einem widersprüchlichen Durcheinander neu zusammengestellt hatte, von dem er behauptete, es sei ein ganz neuer Text. Diese Sichtweise des Propheten entspricht überhaupt nicht dem, wonach die Reformer suchen. Nach ihrer Auffassung war Mohammed gut; angeblich strebte er sogar die Befreiung der Frauen an, aber er drückte sich so verdreht und gewunden aus, und nun müssen seine Worte noch weiter gedreht und gewendet werden, um den Anschein von Toleranz und Gleichheit zu erwecken.
    Fundamentalisten sehen diese Versuche, aus dem Koran ein modernes Dokument zu machen, überhaupt nicht gern, in ihren Augen ist das eine eindeutige Herabsetzung Gottes und Mohammeds. Und in diesem Punkt sind die Fundamentalisten nach meinem Dafürhalten die klaren Sieger, weil sie nicht unter dem leiden, was die Psychologen als kognitive Dissonanz bezeichnen. Das Credo »Gott ist allmächtig; er lehrte den Koran; wir müssen leben wie der Prophet« der Fundamentalisten ist ein klarer Standpunkt. Die verwestlichten Theologen haben sich hier in einem Labyrinth verrannt, weil sie unbedingt an der These festhalten wollen, der Prophet Mohammed sei ein vollkommener Mensch gewesen, dessen Beispiel man folgen müsse, auch der Koran sei vollkommen, und seine wichtigsten Gebote – tötet die Ungläubigen, lockt sie in einen Hinterhalt, bekehrt sie gewaltsam, tötet Homosexuelle und Ehebrecher, verurteilt Juden, behandelt Frauen als Leibeigene – seien lediglich mysteriöse Übersetzungsfehler.

    Aber nicht nur das Verbot jeglicher Kritik am Koran und am Propheten schottet das muslimische Denken ab, sondern auch die lebenslange Sozialisation des rein mechanischen Auswendiglernens. In den Zusammenhang gehört auch die unablässige Konstruktion von Verschwörungstheorien über Feinde des Islam, die angeblich entschlossen sind, die einzig wahre Religion zu vernichten.
    Die Hauptfeinde sind die Juden.
    Als ich noch gläubige Muslimin war, vollzog ich regelmäßig meine Waschungen. Damals verfluchte ich bei jedem Wasserstrahl die Juden. Ich bedeckte meinen Körper, rollte einen Gebetsteppich aus, setzte mich mit dem Gesicht nach Mekka gewandt und bat Allah, mich vor dem Bösen zu schützen, das die Juden verbreiteten. Ich eilte in unsere Moschee und betete gemeinsam mit der Menge: Wir stellten uns in der Frauenabteilung in Reih und Glied auf und befolgten die Anweisungen des Imam, den wir nicht sehen konnten. Wir riefen einstimmig »Amin« zu all seinen Bittgebeten an Allah, und jedes Mal, wenn er Allah anflehte, die Juden zu vernichten, sagte auch ich voller Überzeugung »Amin«.
    In der weiterführenden Schule studierte ich eifrig im Iran und in Saudi-Arabien veröffentlichte Zeitschriften, die drastische Bilder von blutbefleckten Männern und Frauen enthielten. Die Schlagzeilen bezeichneten die Toten immer als Opfer der Juden. Obwohl ich ein wissbegieriges Kind und als Teenager eine noch wissbegierigere Schülerin war, stellte ich weder die Richtigkeit der Bilder infrage noch der Schlagzeilen noch der Schilderungen, wie die Juden Muslime wie mich getötet oder verstümmelt hatten.
    In Nairobi besuchte ich nach der Schule Kurse in islamischen Zentren, die reiche Männer aus Mekka und Medina großzügig der Öffentlichkeit gestiftet hatten. Ich glaubte, die reichen Männer hätten diese Zentren aus Liebenswürdigkeit und Güte bauen lassen; sie praktizierten damit zakat oder Wohltätigkeit, die vierte Säule des Islam. Ein Lehrer nach dem anderen bläute mir damals ein, die Juden hätten dem Islam den Krieg erklärt. Ich erfuhr, dass schon der Prophet Mohammed – der heiligste aller Heiligen, dessen Fußstapfen wir Muslime allesamt folgen sollten – vor der heimtückischen und boshaften Art der Juden gewarnt habe. Sie hatten ihn verraten und versucht, ihn zu töten, denn überall, wo ein Jude ist, schmiedet er unweigerlich Pläne zur Zerstörung des Islam. Er lächelt den Muslim an, aber in seinem Innersten hasst er ihn. Er bietet ihm in angeblich friedlicher Absicht die Hand, während er ihn tatsächlich in eine Falle aus Schulden, Orgien und Sünde lockt.
    Ich verinnerlichte diese Propaganda als die reine Wahrheit. Die anderen Schüler in diesen Kursen waren eine so bunte Mischung wie jede Gruppe in

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