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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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mich deshalb nicht lange darüber.
    »Oh, Mahad«, unterbrach uns die kleine Haweya, »wird er mich auf seinen Schultern reiten lassen wie unser Onkel?«
    »Vielleicht«, antwortete Mahad. »Komm her, Kleine, ich nehme dich auf die Schultern.« Er beugte sich hinunter, und Haweya kletterte unbeholfen auf seinen Rücken und zog dabei an seinen Haaren. Mahad schrie auf.
    Ma stürzte herein: Wir waren wieder mal zu laut. Die Dreizimmerwohnung in Mekka war warm, viel zu warm, und zu klein für uns. In Mogadischu hatten wir ein Haus gehabt, mit einem Hof, auf dem wir herumrennen, und einem Talalbaum, auf den wir klettern konnten. Ma hatte Angst, wir könnten die Nachbarn so sehr stören, dass man uns aus der Wohnung warf. Meist befahl sie Mahad, auf seine kleinen Schwestern aufzupassen und dafür zu sorgen, dass wir ruhig waren. Jetzt hatte Haweya ihn ein bisschen zu fest an den Haaren gezogen, und er machte den Krach. Zeit für eine Standpauke.
    »Du lässt mich schon wieder im Stich!«, schrie sie. »Ich bin allein! Soll ich mich um etwas zu essen kümmern, damit ihr nachts nicht heulen müsst, oder soll ich euch davon abhalten, dass ihr wie Tiere aufeinander losgeht? Sag mir das!«
    Mahad jammerte: »Aber sie hat mich an den Haaren gezogen.«
    »Wie soll sie da wohl drangekommen sein?«, blaffte Ma.
    Mahad antwortete: »Sie wollte wissen, ob Abeh sie auf die Schultern nehmen würde.«
    Jetzt schrie Ma, als ob das ganze Haus im Flammen stünde: »Du wa'al, du Bastardkind; ihr seid alle drei verflucht – Ungeheuer, verfluchte!! Ich hoffe, der Tod findet euch in einzelnen Stücken. Mögen die Ahnen euch in eure Teile zerlegen …«
    Mahads Stimme klang schrill und verzweifelt: »Ma, die eine wollte wissen, ob Abeh durch die Luft schwebt, und die andere wollte mir auf den Rücken klettern … Was soll ich denn tun?«
    Ma schlüpfte aus einem Schuh, zielte damit auf seinen Kopf und sprang drohend auf ihn zu. »Was ich von dir will, ist, dass du ein Mann bist, du Verräter. Ein Mann sollst du sein! Du bist ein solcher Schwächling – du wirst nicht mal mit zwei Mädchen fertig! Wie willst du dich jemals gegen Männer behaupten? Wie willst du kämpfen? Wie willst du deinen Vorfahren Ehre machen, einen Löwen abwehren, dir deinen Anteil an den Kamelstuten verdienen? Es ist meine Tragödie, mein Unglück, dass ich nur einen Sohn habe und der nicht mal seine Schwestern unter Kontrolle hat. Wie willst du je ein Heer führen? Ein Battaillon befehligen? Über ein Volk herrschen? Du wirst nicht einmal mit zwei kleinen Mädchen fertig – wozu bist du eigentlich nütze?«
    Mahad kämpfte mit den Tränen und stürzte ins Bad.
    Weder Mahad noch Haweya noch ich hatten je einen Löwen gesehen. Kamele kannte ich – auch Kühe, Ziegen, Schafe, Eidechsen und ein Reptil namens abbeso, das mir einen solchen Schrecken eingejagt hat, dass mich bis heute allein der Gedanke daran davon abhält, nachzuschlagen, wie es wohl auf Englisch heißt. Ganz sicher aber kannte ich den Unterschied zwischen einem Kamelhengst und einer Kamelstute noch nicht. Mahad hatte vielleicht eine leise Ahnung, aber ich glaube kaum, dass er je so nahe an ein Kamel herangekommen war, dass er das Geschlecht hätte bestimmen können.
    Das war einer der seltenen Momente, in denen ich dankbar dafür war, ein Mädchen zu sein. Ich würde nie mit Löwen ringen müssen, weder mit echten noch mit eingebildeten.
    Mahad hatte mehr Freiheiten als wir, er erlebte alle möglichen Abenteuer, aber er musste auch weitaus schlimmere Prüfungen bestehen. In Saudi-Arabien schreibt das Gesetz vor, dass Frauen sich im Haus aufhalten sollen und niemals ohne Begleitung eines männlichen Aufpassers auf die Straße gehen dürfen. Für unsere Mutter übernahm Mahad, ihr zehn Jahre alter Sohn, diese Funktion, wenn unser Vater nicht da war – also die meiste Zeit. Sie überschüttete ihn mit teuren Geschenken, die sie niemals an uns Mädchen verschwendet hätte, aber sie übertrug Mahad auch die Verantwortung nicht nur für sein eigenes Verhalten, sondern auch für das von Haweya und mir. Außerdem übersetzte er für sie aus dem Arabischen (das wir in der Schule lernten) in Somali und umgekehrt. Sie erwartete von ihm, dass er ihr die Welt entzifferte, dass er sie und uns beschützte, und dabei war er erst zehn. Manchmal hörte er die saudischen Männer anzügliche und hässliche Dinge über Ma sagen. Manchmal nannten sie Ma abda (Sklavin) und manchmal aswad (schwarz). Mahad tat dann immer, als

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