Ich bin eine Nomadin
wie viele Afrikaner noch heute; sie hatten ihre Kleider (die vielen noch heute in Afrika getragenen Sachen geradezu unheimlich glichen) von Hand gewaschen. Ihre geflochtenen Fußbodenmatten, Schüsseln und Tischdeckchen versetzten mich wieder nach Mogadischu, Addis Abeba und Nairobi. Großmutter flocht stundenlang an solchen Matten.
Die Geisterstadt führte mir lebhaft den Unterschied zwischen einer Tradition wie der meiner Großmutter, die möglichst alles erhalten will, wie es ist, und einer Tradition wie der amerikanischen vor Augen, die sich unablässig erneuert. Der amerikanische Verstand sucht nach neuen, besseren und effektiveren Hilfsmitteln für Kochen, Waschen und Heizen, die elementarsten Tätigkeiten des menschlichen Lebens. In der Tradition meiner Großmutter stecken die Menschen in dem Kreislauf der Beschaffung, Zubereitung und Aufnahme von Nahrung fest – sie sind fast darin gefangen. Mir fällt nichts Nützliches ein, das ein somalischer Mann oder eine Frau erfunden hätte, um diesen Zyklus zu erleichtern.
Selbst diese längst verlassene Geisterstadt im Niemandsland zwischen Nevada und Kalifornien enthielt vergleichsweise größeren Luxus als das Haus meiner Mutter. Als wir aus der Stadt zurück nach Los Angeles fuhren, wurde mir klar, wie unglaublich schnell die Siedler in Amerika Fortschritte gemacht hatten, was für eine rasante Entwicklung sie durchlaufen hatten.
Zwei Monate vor meinem Trip nach Las Vegas war ich an der Ostküste gewesen und hatte das Metropolitan Museum of Art in New York City besucht. Der Direktor des Rijksmuseum in Amsterdam Wim Pijbes und die Vereinigung der Tulpenzüchter hatten vorgeschlagen, mir zu Ehren eine kleine Zeremonie zu veranstalten. Als Symbol der Mannigfaltigkeit in den Niederlanden (in den Worten von Wim Pijbes) sollten mir hundert Zwiebeln für schwarze Tulpen überreicht werden. Ich lud einige enge amerikanische Freunde ein, und Wim Pijbes ein paar holländische Besucher. Nebenbei erwähnte ich, dass Chris DeMuth eine Schwäche für den holländischen Maler Jan Vermeer hatte. Zufällig hatte das Met damals eine so vollständige Sammlung von Vermeer-Werken ausgestellt, wie man sie nur beschaffen konnte.
Chris verspätete sich, aber ich ging nach unten, um mir unter Wim Pijbes' Führung die Bilder anzusehen. Vor Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug blieben wir einen Moment stehen. Wim Pijbes setzte zu einer ausführlichen Erklärung des malerischen Genies an, das in diesem kleinen Gemälde steckte: die Präzision, Lichteffekte, Farben, Schatten und die Wahl einer Dienstmagd als Objekt. Aber während ich das Bild ansah, faszinierte mich vor allem der Raum: ärmlich, dunkel und klein. Viele Zimmer in den Vierteln meiner Kindheit waren genauso klein.
Nach der kurzen Tour durch die Ausstellung kam ich mit anderen holländischen Besuchern ins Gespräch. Voller Enttäuschung hörte ich mir von einer Frau die üblichen Vorurteile an, dass Amerikaner »plat« seien, wie die Holländer sagen. Das ist in diesem Zusammenhang schwer zu übersetzen, gemeint ist in etwa gewöhnlich oder proletenhaft, grobschlächtig; überdies spielt es darauf an, dass die Amerikaner angeblich wenig oder gar keine Tradition der Kunst und wahrer Kultur haben. Demnach ist die ganze amerikanische Kultur Popkultur: seichte Massenware. Natürlich wird in den Vereinigten Staaten jede Menge Unsinn als Kultur ausgegeben, etwa die geradezu obsessive Verehrung von »Promis« aus allen erdenklichen Bereichen. Doch das ist kaum repräsentativ für die außergewöhnlichen Werke der Kunst, Literatur und Musik, die die Vereinigten Staaten im Lauf ihrer fast zweihundertfünfzigjährigen Geschichte hervorgebracht haben.
Als Fremde in Amerika fühlte ich mich häufig von Unterhaltungen ausgeschlossen, weil unablässig auf Musicals und Filme angespielt wurde, von denen ich noch nie gehört hatte. In Boston ließ ich unter Bekannten einmal durchblicken, dass ich manche kulturellen Anspielungen in dem Gespräch über Vorurteile nicht verstand. »Hast du dir mal South Pacific angesehen?«, fragte sie. Hm, irgendwie klang der Name bekannt, aber gesehen hatte ich das Musical nicht. (Das ist für viele amerikanische Anspielungen typisch: Sie klingen vertraut, sind es aber in Wirklichkeit nicht.) Prompt luden sie und ihr Mann mich ein, gemeinsam das Musical in New York anzusehen.
Diese Liebesgeschichte, die im Krieg spielt, mit Songs und einer schauspielerischen Leistung auf die Bühne gebracht, die einen mehr
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