Ich bin eine Nomadin
weiche Sandgruben, weißlich, aber auch braun und grau gefärbt. Wir fuhren an Orten mit so bizarren Namen wie Zzsyk vorüber. Ein Schild mit der Aufschrift »Ghost Town Road« erregte meine Aufmerksamkeit.
»Unheimlich«, sagte ich und zeigte auf das Schild.
»Vielleicht sollten wir bei der Rückfahrt einen Abstecher zu einer machen«, erwiderte meine Freundin.
Nach mehreren Stunden Wüste erreichten wir schließlich Las Vegas. Mir verschlug es die Sprache. Als wir zur Mandalay Bay abbogen, war es, als würden wir eine Zauberinsel mit surrealen Kopien von New York, Paris und Rom betreten. Im Wynn Hotel gab es nicht nur Schlafräume und Restaurants, sondern komplette Einkaufsmeilen: europäische Nobelläden mit der neuesten Mode, Juweliergeschäfte mit Gold, Platin, Diamanten und sonstigen Edelsteinen. Mitten in all der Pracht standen reihenweise Spielautomaten und Tische, nicht zu vergessen Striptease-Clubs für Männer und Wellness-Oasen für Frauen.
Sharon drängte mich, an einem Automaten mein Glück zu versuchen. An einem Automaten verlor ich acht Dollar und gewann fünfundzwanzig, an einem anderen gewann ich zehn Dollar und verlor zwanzig. An einem Tisch spielten wir ein Glücksspiel namens Black Jack. Sharon und ich stiegen mit hundert Dollar ein. Wir verloren sechzig. Es war wie verhext. Wir mussten Chips zu fünf und zehn Dollar kaufen, der Mindesteinsatz war fünfzehn Dollar. Der Dealer oder Geber gab uns zwei Karten und behielt selbst zwei. Man konnte es dabei belassen oder noch eine Karte verlangen. Wenn alle drei Karten insgesamt einundzwanzig ergaben, hatte man gewonnen – das heißt, mehr Chips gewonnen.
Vermutlich erweckte ich den Eindruck, ich käme direkt aus dem Urwald. Bei dem Spiel musste man winzige Gesten machen, etwa den Zeigefinger vor und zurück oder langsam die Hand hin und her bewegen, als wolle man den Tisch streicheln, ohne ihn zu berühren. Der Geber nickte, und meine Freundin nickte ebenfalls auf eine ganz merkwürdige Art. Angeblich war Black Jack das einfachste Glückspiel von allen, aber ich hatte das Gefühl, dass es eine Ewigkeit dauerte, bis ich all die geheimen Zeichen verstanden hatte, und noch länger, um zu analysieren, welche Karte wahrscheinlich als nächste kommen würde. Bis dahin wäre ich jedoch pleite. Also hörten wir auf.
Zur Krönung des Abends gingen wir ins Palace Hotel in das Musical Jersey Boys, das die Geschichte einer Band armer Kids in New Jersey erzählt. Diese geradezu klassisch amerikanische Schilderung, welchen Preis der Ruhm hat, nahm mich sofort gefangen. Am Anfang scheint es eine gute Idee zu sein, eine Band zu gründen, auch wenn etliche Steine ihren Weg zum Erfolg pflastern. Als sich am Ende der Erfolg einstellt, zerbricht nicht nur die Band, sondern auch die Ehe des Helden. Seine neue Freundin verlässt ihn, die Tochter verliert er, weil sie drogensüchtig wird. Traurig singt er dann, alle hätten ihn im Stich gelassen. Das Musical endet mit Soli von allen vier Männern, in denen sie auf ihr Leben zurückblicken.
Auf dem Heimweg machten wir an einer Tankstelle halt, nicht weit von der Stelle entfernt, wo sich die Ghost Town Road die bunt gefärbten Felsen hinaufschlängelte. »Möchtest du dir die Stadt ansehen?«, fragte Sharon, als ihr meine Bemerkung einfiel.
Warum nicht? Ich war zu weiteren Abenteuern bereit. Also fuhren wir in die Geisterstadt Calico.
An der Einfahrt zu der ehemaligen Stadt stand ein kleines Häuschen mit einem Vordach. Ein Wärter kassierte hier von den Touristen eine geringe Eintrittsgebühr. Im Grunde ist die Geisterstadt ein Freiluftmuseum. Vor rund hundertfünfzig Jahren war Calico für seine Silberminen bekannt und lockte scharenweise Silbersucher an, die schnell reich werden wollten. Die Stadt hatte ein paar Lebensmittelläden, ein paar Geschäfte, die Kleidung und Haushaltswaren verkauften, und einen Saloon mit angeschlossenem Bordell. Ein einfaches Wohnhaus hatte man rekonstruiert, um den Besuchern einen Eindruck zu vermitteln, wie die Menschen im Wilden Westen gelebt hatten.
Ein Herd aus dem 19. Jahrhundert faszinierte mich, weil er viel besser war als das Kohlebecken, auf dem wir in Mogadischu und Nairobi gekocht hatten; solche Kochstellen sind in vielen afrikanischen Häusern noch heute in Gebrauch. Selbst die rustikalen Möbel in diesem alten, verlassenen Haus waren besser gebaut und stabiler als unsere. Die Bewohner von Calico hatten über drei Kilometer weit gehen müssen, um Wasser zu holen – genau
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