Ich bin eine Nomadin
aufmuntern als jede Komödie, bezauberte mich. South Pacific war gewissermaßen auch eine Erholung nach der europäischen Oper. Die Liebesgeschichten in der Oper enden fast immer tragisch, immerhin werden die Liebenden von großartiger Musik in den Untergang geleitet. Im Gegensatz dazu streifen Paare in amerikanischen Musicals singend und tanzend große Themen wie Krieg und Rassismus, und die Liebesgeschichte endet fast immer mit einem Happy End. Nach der Show merkte ich, dass ich die Melodie von »You've Got to Be Carefully Taught« vor mich hin summte:
You have got to be taught to hate and fear
Man muss euch Hass und Angst beibringen,
Jahr für Jahr muss man es euch lehren,
man muss es euch einbläuen.
Man muss es euch ordentlich beibringen!
Man muss euch beibringen, Angst zu haben
vor Menschen mit seltsam geformten Augen
und vor Menschen mit einer anderen Hautfarbe.
Man muss es euch ordentlich beibringen!
Man muss euch beibringen, bevor es zu spät ist,
bevor ihr sechs oder sieben oder acht seid,
alle Menschen zu hassen, die eure Verwandten hassten.
Man muss es euch ordentlich beibringen!
Das Musical und die anschließenden Gespräche verschafften mir einen Einblick in Amerikas scheinbar endlose Auseinandersetzung mit der Rassenfrage. Mehr als schöne Worte von Politikern und Experten bewirkten solche für den Massenkonsum komponierte Lieder, dass rassistische Vorurteile aufgeweicht wurden, indem man sie lächerlich machte.
Ein anderes Paar nahm mich zum Galakonzert anlässlich des neunzigsten Geburtstags von Leonard Bernstein in New York mit. Es war mir ein wenig peinlich zuzugeben, dass ich gar nicht wusste, wer Bernstein war. Kein Problem, meinten sie unisono. Der Abend sei eine gute Einführung, sagte Bruce. Von den Auftritten faszinierte mich vor allem ein ärmlich gekleidetes Teenagerpaar. Sie spielten eine für sie alltägliche Begegnung mit dem Polizisten ihres Viertels nach und sangen anschließend:
Mein guter Sergeant Krupke,
Sie müssen schon versteh'n,
ich mach zwar noch nicht schlapp-ke
Doch es ist klar zu seh'n:
Mama hängt an der Nadel,
Papa säuft nur noch Bier,
Dumm gelaufen, darum sind wir hier!
Nach dem Abend fragte ich meine Freunde nach dem Song mit den Teenagern. Sie waren erstaunt: »Kennst du denn nicht West Side Story ?« Ein paar Tage später sah ich mir den Film auf DVD an und genoss die eleganten, psychologischen Kunstgriffe des Texters, der einer Bande jugendlicher Krimineller Worte in den Mund gelegt hatte, mit denen sie sich einredeten, sie seien »Opfer der Gesellschaft«. Und natürlich hörte ich zum ersten Mal den unvergesslichen Einwanderersong America, jenen Wechselgesang zwischen Männern und Frauen, die aus Puerto Rico in die Staaten gekommen sind. Einige meiner Meinung nach zeitlose Zeilen habe ich hier eingefügt; sie veranschaulichen, wie unterschiedlich Menschen aus demselben Land, ja sogar aus derselben Familie, Amerika wahrnehmen. Für die jungen Frauen ist es das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten, für die an Heimweh leidenden Männer ein Ort der Armut und Bigotterie, sofern man nicht weiß ist.
I like to be in America …
Ich bin so gern in Amerika
Ist alles umsonst in Amerika
Auf Kredit kaufen ist bequem
Ein scheeler Blick, schon wollen sie das Doppelte
Ich hab eine eigene Waschmaschine
Und was willst du darin waschen? …
Die Industrie boomt in Amerika
Zwölf leben in einem Zimmer in Amerika
Viele neue Häuser mit mehr Platz
Viele Türen werden uns vor der Nase zugeknallt …
Das Leben ist schön in Amerika
Wenn du weiß bist in Amerika
Hier bist du frei und stolz
Solange du an deinem Platz bleibst
Du hast die Wahl, was du werden willst
Die Wahl zwischen Kellner und Schuhputzer
Überall Dreck in Amerika
Verbrecherbanden in Amerika
Furchtbare Zeit in Amerika
Ich glaub', ich geh' zurück nach San Juan
Ich kenn' ein Boot, das bringt dich hin
Dort gibt's ein Fest zum Empfang!
Von dort sind alle längst hier
Dieser Wechselgesang trifft immer noch den Nagel auf den Kopf. Für die meisten Einwanderer bedeutet die Einreise nach Amerika noch heute, dass sie eine Heimat, die unter Arbeitslosigkeit, Gewalt und Apathie leidet, gegen ein neues Land eintauschen, wo sich die verführerischsten Möglichkeiten verpackt in den einheimischen Schmutz, das Bandenwesen und das organisierte Verbrechen bieten.
Im Gegensatz dazu hatte ich das große Glück, dass sich viele meiner Träume von Amerika schon kurz nach meiner Ankunft erfüllten. Im
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