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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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funktionieren wie zuvor.
    Nach der ersten Regelblutung darf ein Mädchen zu Männern außerhalb der engsten Familie so wenig Kontakt haben wie möglich. In Saudi-Arabien sind Frauen von Gesetzes wegen in ihren Wohnungen eingesperrt; in anderen Ländern ist das nicht so, doch noch immer sind sie überall dort, wo es Muslime gibt, häufig Gefangene. Viele Araberinnen dürfen selbst nach der Heirat keinen Blickkontakt mit nicht verwandten Männern haben. Es ist schon ein Vergehen, wenn man einem Mann nur in die Augen schaut.
    Andere Gesellschaften, die zu arm sind, um ohne die Arbeit der Frauen außerhalb des Hauses über die Runden zu kommen, müssen deren Keuschheit mit anderen Mitteln überwachen: mit Mitteln, die direkt im Körper angebracht sind. Das könnte der Ursprung der weiblichen Beschneidung sein, des einzigen möglichen unanfechtbaren Beweises für die Jungfräulichkeit. Außerdem muss die Keuschheit in ihr Denken eingebaut werden: Vergewaltigungsopfer zeigen das Verbrechen nicht an, wenn sie es überleben; Frauen, die unverheiratet schwanger werden, jagt man aus dem Haus oder man tötet sie. Allzu oft nehmen sich Mädchen sogar das Leben, wenn sie ihre Jungfräulichkeit auf »unerlaubte Weise« verloren haben.
    Die muslimische Lehre hat diese Haltung sicher noch verstärkt und untermauert, doch das dichte Netz von Beschränkungen, das arabische und muslimische Clans kennzeichnet, ist älter als der wahhabitische Islam, die vorherrschende islamische Richtung in Saudi-Arabien. Schon das Wort »Harem« für den Bereich des Hauses, in dem die Frauen wohnen (arabisch hareem ), ist abgeleitet von haram, verboten. In den meisten muslimischen Kulturen bewahren die Menschen noch die Erinnerung an den alten, vorislamischen Glauben, an Dschinns und Ghule. (Was von den meisten islamischen Puristen scharf verurteilt wird, weil es dann ja womöglich noch andere Gottheiten außer Allah geben würde.) Die Ghule sind meist alte Hutzelweiber oder sexuell unersättliche jüngere Frauen, die gleichermaßen Furcht und Abscheu erregen. Die Frau, die jeden Monat durch die Menstruation beschmutzt wird, ist dem Bösen schon von Natur aus viel näher.

    Als Somali-Dolmetscherin in Holland wurde ich oft zu Fällen gerufen, bei denen es um gewalttätige Reaktionen von Eltern ging, deren halbwüchsige Töchter den westlichen Lebensstil angenommen hatten. Ich erinnere mich an ein Mädchen im Büro der Kinderschutzbehörde in der Nähe von Den Haag. Sie war etwa sechzehn Jahre alt und sah aus wie fünfundzwanzig. Das Haar hatte sie geglättet und mit roten und braunen Strähnchen gefärbt. Ihre Fingernägel waren so lang, dass sie sich schon einrollten, und glänzten grün. Sie trug das engste Tanktop, das ich jemals gesehen hatte, mit dem tiefstmöglichen Ausschnitt, und einen schwarzen Rock, der so kurz war, dass man ihren Slip sah, wenn sie ihre mit roten Netzstrümpfen bekleideten Beine übereinanderschlug. Dazu kamen noch Stiefeletten mit hohem Absatz.
    Ihr Vater musste mit Gewalt zurückgehalten werden, sonst hätte er sich auf sie gestürzt und sie verprügelt. Immer wieder brüllte er: »Sie sieht aus wie eine Hure! Schaut euch ihren Mund an! Er sieht aus wie die aufgeschnittene Kehle eines Lamms! Sie hat mich umgebracht, dieses Mädchen hat mich getötet!« Das stimmte zumindest im übertragenen Sinn: Ich wusste, dass er mit einer solchen Tochter für seinen Clan gestorben war; er wurde zum Objekt des Spotts und des Mitleids. Nur mit gesenktem Kopf und zusammengebissenen Zähnen konnte er sich noch in der Öffentlichkeit sehen lassen. Doch seine Tochter zuckte mit den Achseln und machte eine wegwerfende Handbewegung.
    Die holländische Sozialarbeiterin sagte zu dem Vater: »So etwas nennen wir Selbstdarstellung. Im Alter Ihrer Tochter ist das nichts Ungewöhnliches.« Die Mutter des Mädchens hatte behauptet, ihr Kind sei besessen, und so fügte die Sozialarbeiterin vorsichtig hinzu: »Wir haben sie psychologisch getestet. Sie ist ganz normal.«
    In diesem speziellen Fall endete der Streit damit, dass das Mädchen in eine Pflegefamilie kam. Das war eine durchaus übliche Lösung des Problems und ein nicht nur mir, sondern auch meinen Kollegen, die für Araber, Türken, Berber und Iraner dolmetschten, überaus vertrautes Szenario. Wir alle arbeiteten sehr häufig für den Kinderschutz, die Polizei und andere Einrichtungen, die mit muslimischen Mädchen im Teenageralter zu tun hatten. Sie waren von zu Hause ausgerissen, weil ihre

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