Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
Vom Netzwerk:
Eltern und ihr Umfeld ihren experimentellen Umgang mit dem, was sie als westliche Kultur verstanden, nicht dulden wollten.
    Später, als Abgeordnete, als Praktiken wie Ehrenmorde und Zwangsehen in den Niederlanden schon allgemein bekannt waren, diskutierte ich oft mit muslimischen Eltern, die mir vorwarfen, ich verstünde ihre Sichtweise nicht. Sie behaupteten, muslimische Mädchen würden die Schule vor allem deshalb abbrechen, weil sie von »lover boys« in die Prostitution gelockt werden sollten, und nicht, weil sie in eine Ehe gezwungen würden. Sie argumentierten, Kinderschutzeinrichtungen könnten die Familie nicht ersetzen, denn nur Eltern könnten Kindern den Unterschied zwischen richtig und falsch beibringen. In holländischen Schulen, so sagten sie, hätten ihre Kinder nur sündiges Verhalten und Ungehorsam gelernt. Diese Schulen schreckten sie mit ihrer islamfeindlichen Atmosphäre und der Diskriminierung von Muslimen auch vom Lernen ab, und deshalb seien muslimische Schüler dort so schlecht und wollten aufhören. Nach Ansicht der Eltern bestand die Lösung darin, muslimische Schulen einzurichten, damit die Mädchen eine Ausbildung bekämen, ohne aufmüpfig zu werden.
    Im Hinblick auf die hohe Schulabbrecherquote von Kindern aus muslimischen Einwandererfamilien und ihren sehr mäßigen Erfolg bei den Prüfungen hatten sie recht. Aber meiner Meinung nach lag das nicht an der Diskriminierung durch die Holländer, sondern an den Eltern, die ihre Kinder nicht richtig auf das Leben und die Schule in einem modernen Land vorbereiteten.
    Wie meine Mutter und meine Tanten hatten auch diese Einwanderer sich geweigert, ihre Töchter sexuell aufzuklären, mit ihnen über die Veränderungen in ihrem Körper zu sprechen oder ihnen zu erklären, dass es natürlich war, wenn sie sich für Jungen interessierten. Anders als holländische Eltern konnten sie sich nicht dazu durchringen, ihren Töchtern beizubringen, dass der Ausdruck der eigenen Persönlichkeit etwas Schönes ist, aber auch seine Grenzen hat – sonst hätten ihre Töchter als Teenager vielleicht Wege finden können, sich selbst auszudrücken, ohne ihren Körper so übertrieben zur Schau zu stellen. Insgesamt hatten sie die Mädchen nicht ganz allmählich darauf vorbereitet, die Herausforderungen der Unabhängigkeit zu meistern. Und vielleicht ebenso wichtig: Ihren Söhnen hatten sie nicht beigebracht, Frauen mit Respekt zu begegnen – und in holländischen Schulen gibt es mehr Lehrerinnen als Lehrer.
    In meinen Augen waren die holländischen Schulen völlig in Ordnung und bereiteten die holländischen Mädchen offenbar keineswegs auf ein Leben in Laster und Prostitution vor. Ganz im Gegenteil: Die meisten holländischen weiblichen Teenager, die ich kannte, waren nette Mädchen und würden bald selbstbewusste, produktive, gesetzestreue Bürgerinnen sein, freundlich und anständig. Doch die muslimischen Eltern, mit denen ich sprach, sahen das ganz anders. Oft ging es ihnen vor allem um den Sexualkundeunterricht in den Schulen. Ihrer Meinung nach lernten die Mädchen dort nicht, ihre Sexualität und ihren Körper zu verstehen, sondern Geschlechtsverkehr zu haben. Die Lehrerinnen stellten einen großen Penis aus Holz oder Plastik vor ihren Töchtern auf den Tisch und zeigten ihnen, wie man ein Kondom benutzt. Das war abscheulich, eine Aufforderung zur Prostitution.
    Ich hatte holländischen Sexualkundeunterricht nicht miterlebt. Doch ich war in Asylbewerberzentren gewesen, in denen Kurse zu Hygiene, Sexualkunde, Schwangerschaft, Geburtsvorbereitung und dergleichen abgehalten wurden. Ich hatte gesehen, wie drastisch anschaulich die Holländer in ihren Erklärungen sein konnten, und hatte mich an die Deutlichkeit gewöhnt, mit der sie über sexuelle Vorgänge sprechen. Wenn Kinder meiner holländischen Freunde ihren Eltern entsprechende Fragen stellten – was mir anfangs die Sprache verschlug, weil ich das nie und nimmer getan hätte –, setzten sich meine Freunde hin und erklärten ihrem neugierigen Kind geduldig und ganz ausführlich alles, was man über Sex wissen muss. Dabei benutzten sie auch Bücher mit sehr expliziten Bildern des menschlichen Körpers.
    Auch bei Drogen und Alkohol schlugen holländische Eltern diesen Weg ein. Wenn ein Kind nach Hause kam und fragte: »Mama, was ist ein Joint?«, erklärte die Mutter, wie eine Marihuana-Zigarette aussieht, woraus sie besteht und wie sie auf das Gehirn wirkt. Sie sprach auch über die Junkies auf der

Weitere Kostenlose Bücher