Ich bin eine Nomadin
und wartete, bis meine Freundinnen an der Reihe waren. Dann gingen wir nach Lunteren, und innerhalb von Minuten löste sich mein Geld in Nichts auf. Statt der beiden blauen Scheine hatte ich jetzt eine Plastiktüte, in der vielleicht eine Bodylotion steckte, dazu Shampoo, ein Riegel Schokolade und ein paar Orangen. Die zwanzig Gulden sollten eine Woche reichen, und am ersten Tag waren sie schon weg. Yasmin erging es genauso und Dahabo auch. Wir staunten, dass diese zwanzig Gulden – die dort, wo wir herkamen, so viel wert waren – in Holland nirgendwohin reichten. Wir standen in unseren neuen Gruppen aus vielen Teilen der Welt zusammen und jammerten darüber, wie wenig man doch mit zwanzig Gulden kaufen konnte.
Als man mir meine hundertfünfzig Gulden für Kleidung gab, kaufte ich für fünfzig Gulden, für mich damals sehr viel Geld, eine Telefonkarte. Ich rief meine Schwester Haweya an. Es dauerte nur ein paar Minuten, und schon hörte ich ein Klicken und den lang gezogenen Ton, der anzeigte, dass meine Karte leer war. Damals kostete ein Anruf von Holland nach Kenia 4,95 Gulden pro Minute. Wir waren noch nicht einmal mit dem Thema Wetter fertig, als meine Karte leer war.
Mit dem A-Status musste ich nicht länger im Asylbewerberzentrum wohnen. Ich ließ mich bei der Stadtverwaltung in Ede registrieren und wartete auf eine Wohnung für mich und meine Freundin Yasmin, die bei den Behörden angegeben hatte, sie sei noch nicht volljährig. (Das brachte ihr Vorteile bei der Erteilung des Aufenthaltsrechts.) Auch ich hatte in meinem Asylantrag gelogen und war deshalb nervös. Ich hatte nicht nur eine Geschichte erfunden, um meine Verwicklung in den Bürgerkrieg in Somalia zu belegen, und unterschlagen, dass ich mich dort nur kurze Zeit aufgehalten hatte, sondern ich hatte auch noch einen falschen Namen und ein falsches Geburtsdatum angegeben, damit meine Verwandten mich nicht finden konnten.
Während ich auf eine Wohnung wartete, beschloss ich, arbeiten zu gehen. Ich fand befristete Jobs als Putzfrau und am Fließband. Bei jedem Job musste ich die Leitung des Zentrums darüber informieren, dass ich arbeitete und damit Geld verdiente. Daraufhin bekam ich kein Taschengeld mehr ausgezahlt und sollte sogar einen Teil des verdienten Geldes abgeben, sodass mir, selbst wenn ich fünf oder sechs Tage pro Woche gearbeitet hatte, immer nur zwanzig Gulden blieben. Ich fragte eine Sozialarbeiterin: »Warum darf ich, wenn ich den ganzen Tag arbeite, mein Geld nicht behalten?«
Geduldig erklärte sie mir, dass ich Essen und Unterkunft erhielt und dass diese Dinge etwas kosteten. Es sei nicht so, dass die Leitung des Zentrums mein Geld konfisziere, sagte sie. Ich trüge zu meinem Lebensunterhalt bei. Trotzdem zog ich einen Nutzen aus der Arbeit, denn sie war gut gegen die Langeweile, lehrte mich Holländisch und gab mir das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Meine Arbeitsstunden und mein Verdienst standen allerdings in keinem Verhältnis zueinander. Sicherlich kostete mein Lebensunterhalt weitaus mehr als die paar Gulden, die ich mit meinen Gelegenheitsjobs verdiente.
Endlich kam ein Brief vom Wohnungsamt, dass mir eine Wohnung zugewiesen sei und dass die minderjährige Yasmin (die eigentlich in meinem Alter war) meiner Obhut anvertraut würde. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mich darum kümmern, Miete, Wasser und Strom, Kabelgebühren und Telefonrechnungen zu bezahlen. Ich musste Möbel für unsere Wohnung besorgen. In den Ländern, in denen ich aufgewachsen war, blieb die Temperatur im Sommer und im Winter gleich, in Holland war das Leben in den Wintermonaten wegen der Heizkosten teurer als im Sommer.
Ich ging aufs Sozialamt, wo Menschen nacheinander mit Beamten hinter einem großen Schalter sprachen. Nach kurzem Warten merkte ich, dass ich ein kleines Stück Papier mit einer Nummer darauf aus einem Ständer in einer Ecke des Wartezimmers ziehen musste. Wenn jemand fertig war und von dem Schalter weg, tauchte eine neue Nummer auf einem Bildschirm auf, und dabei ertönte ein lautes Ping. Ich war fasziniert. Die Menschen mussten nicht mehr Schlange stehen wie wir in Afrika, sie mussten sich nicht vordrängeln, schieben oder auf andere Art aggressiv ihren Platz verteidigen. Man konnte sich hinsetzen, während das Stückchen Papier praktisch stellvertretend Schlange stand. Noch beeindruckender fand ich, dass die Beamten so schnell arbeiteten, dass man wirklich nie länger als zehn bis fünfzehn Minuten warten
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